Das Leitsymptom der seltenen Erkrankung Morbus Pompe ist eine ausgeprägte Muskelschwäche, die sich unter anderem auf die Atmung auswirkt. Was das mit der aktuellen Pandemiesituation zu tun hat, erklärt uns Dr. med. Matthias Boentert, der am UK Münster seit vielen Jahren Morbus Pompe-Patienten betreut.
Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Boentert
Oberarzt der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie am UK Münster
Herr Dr. Boentert, Morbus Pompe geht mit einer Schwächung der Muskulatur einher. Wie wirkt sich das speziell auf die Atemmuskulatur aus und welche Folgen kann das für Betroffene haben?
Bei Patienten mit Morbus Pompe kommt es zu einer in der Regel langsam voranschreitenden Schwäche der rumpfnahen Muskeln an Armen und Beinen; außerdem können die Haltemuskulatur des Rückens und das Zwerchfell betroffen sein. Der Zeitpunkt des Symptombeginns hängt von der genetisch festgelegten Rest-Enzymaktivität der sauren Maltase ab. Während die Schwäche der Rumpf- und Gliedmaßenmuskeln Probleme beim Stehen, Gehen und Treppensteigen macht, kommt es durch die Beteiligung des Zwerchfells zu Beschwerden, die alle mit der Atmung zu tun haben (das Zwerchfell ist der mit Abstand wichtigste Atemmuskel). Hierzu zählen Luftnot bei körperlicher Belastung, manchmal auch schon in Ruhe, und im Liegen (vor allem in flacher Rückenlage), Abschwächung des Hustenstoßes, Durchschlafstörungen, morgendliche Kopfschmerzen und ein chronisch unerholsamer Nachtschlaf. Die schlafbezogenen Symptome rühren daher, dass sich die Zwerchfellschwäche zuallererst im Schlaf und im Liegen bemerkbar macht: Die Atmung wird zu flach, so dass man zwar noch genügend Sauerstoff ein-, aber nicht mehr ausreichend Kohlendioxid ausatmen kann. Als Folge sammelt sich dann CO2 im Körper an, was einen starken Weckreiz darstellt, Kopfschmerzen verursacht und die Erholsamkeit des Schlafs massiv beeinträchtigt. Wird die Zwerchfellschwäche im Krankheitsverlauf schlechter, erhöht sie stark das Risiko für Infekte der unteren Atemwege, d. h. für Lungenentzündungen.
Gerade ist die breite Öffentlichkeit aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation sehr sensibilisiert, wenn es um Themen wie Atemprobleme oder künstliche Beatmung geht. Beim Morbus Pompe spielen diese Themen ebenfalls eine tragende Rolle. Erklären Sie uns, warum?
Eine Infektion mit COVID-19 kann eine schwere virale Lungenentzündung verursachen oder auch eine zusätzliche bakterielle Pneumonie begünstigen. Patienten mit Morbus Pompe oder anderen neuromuskulären Erkrankungen, bei denen eine höhergradige Zwerchfellschwäche vorliegt, haben kein erhöhtes Risiko, sich mit COVID-19 zu infizieren, laufen aber Gefahr, im Fall einer Lungenentzündung einen schwereren Erkrankungsverlauf zu haben. Das hat damit zu tun, dass ein intaktes Zwerchfell und ein kräftiger Hustenstoß bei Lungenentzündungen generell wichtig sind, um eine Lungenentzündung besser zu überstehen. Ist die Zwerchfellkraft herabgesetzt, besteht ein erhöhtes Risiko dafür, dass eine künstliche Beatmung früher eingeleitet und insgesamt deutlich länger durchgeführt werden muss als bei Patienten mit einem gesunden Zwerchfell. Daraus ergibt sich dann fast automatisch ein höheres Risiko für einen längeren Aufenthalt auf der Intensivstation, häufigere Komplikationen und eine ungünstigere Prognose.
Könnten durch den derzeitigen Fokus auf Atemwegsbeschwerden auch vermehrt Morbus Pompe-Patienten diagnostiziert werden? Auf welche Symptomkonstellationen sollten Ärzte in diesen Zusammenhang besonders achten?
Die aktuelle Pandemie lenkt allgemein die Aufmerksamkeit auf Krankheiten der Lunge oder der Atemmuskulatur, für deren Behandlung die mechanische Beatmung eine Rolle spielt. Hierbei unterscheidet man zwischen der nicht-invasiven Beatmung über eine Maske und der invasiven Beatmung über einen Tubus oder Luftröhrenschnitt. Nicht wenige Patienten mit Morbus Pompe und anderen neuromuskulären Erkrankungen müssen zuhause eine nicht-invasive Beatmung während der Nacht einsetzen, damit die unter Punkt 1 genannten Beschwerden gut behandelt sind. Für Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen, die einer nicht-invasiven Heimbeatmung bedürfen, ist die Versorgungssituation in Deutschland nicht optimal. Das gilt vor allem für ländliche Regionen, in denen die notwendigen Untersuchungsmöglichkeiten (wie z. B. ein geeignetes Schlaflabor) nicht unmittelbar zur Verfügung stehen. Da die aktuelle Pandemie den öffentlichen und politischen Fokus tatsächlich auf Themen der Beatmungsmedizin gelenkt hat, kann man nur hoffen, dass sich dies auch auf die Versorgungssituation von heimbeatmungspflichtigen Patienten im Allgemeinen auswirkt. Ob dies eine größere Aufmerksamkeit für das Thema Schlaf & Atmung bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen einschließt und ob dadurch vielleicht sogar die Diagnosequote bei so seltenen Erkrankungen wie Morbus Pompe in Zukunft ansteigen wird, bleibt abzuwarten. Es ist zu hoffen, dass insbesondere Hausärzte und niedergelassene Neurologen für atembezogene Beschwerden sensibilisiert sind, damit die typische Symptomkonstellation aus Muskelschwäche, Luftnot bei Anstrengung und Schlafstörungen erkannt wird und weitere Untersuchungen nach sich zieht.
Halten Sie eine Priorisierung von Patienten mit seltenen Erkrankungen wie dem Morbus Pompe beim Thema Corona-Impfung für sinnvoll?
Definitiv. Patienten mit bestehender Heimbeatmung oder messbarer Zwerchfellschwäche sollten bevorzugt geimpft werden. Das gilt zum einen für Patienten mit einer schweren neuromuskulären Erkrankung wie dem Morbus Pompe, aber generell auch für Personen mit schweren Lungenerkrankungen.