Dr. Sandra Jansen
Projektmanagerin
Leitung Patientenregister
PRO RETINA Deutschland e.V.
Maria ist schon von Geburt an stark sehbehindert. Sie hat Retinitis pigmentosa. Aber sie ist eine der wenigen Personen in Deutschland, die mit einer Gentherapie behandelt werden konnte. Im Interview berichtet sie, wie die Therapie ihr Leben verändert hat.
Wann wurde bei Ihnen die Retinitis pigmentosa (RP) festgestellt?
Bei mir wurde schon im Säuglingsalter eine Sehbehinderung festgestellt. Meinen Eltern ist der sogenannte „Lichthunger“, das Zuwenden zu starken Lichtquellen schon sehr früh aufgefallen. Die Diagnose Retinitits pigmentosa bekamen meine Eltern als ich zwei Jahre alt war.
Wie war Ihre Seheinschränkung vor der Gentherapie?
Eine Orientierung im Raum war vor der Operation kaum möglich. Nur unter ganz bestimmten Lichtbedingungen konnte ich mich sehr eingeschränkt orientieren. Ich habe ständig ins Licht gestarrt. Meistens eine ziemlich nervige Situation. Den klassischen Verlauf einer RP hatte ich nie. Mein Visus war schon immer sehr gering, hinzu kam noch eine extreme Unschärfe. Buchstaben konnte ich gar nicht lesen. Im Zentrum meiner Netzhaut waren nur noch kleine Sehinseln nachweisbar.
Wann haben Sie das erste Mal von einer möglichen Therapie erfahren?
Ich habe schon vor einigen Jahren die amerikanischen Studien zur Gentherapie sehr intensiv beobachtet. Auf einem Patiententag der PRO RETINA in Hamburg hörte ich einen Vortrag über die Perspektive der Gentherapie bei einer ganz bestimmten Genmutation. Da ich wusste, dass ich genau diese Mutation habe, konnte ich mich schon einige Jahre mit dem Thema auseinandersetzen.
Wie ging es dann weiter?
Meine Schwester ist ebenfalls von dieser bestimmten Genmutation im betroffen. Im Frühjahr 2019 wurde meine Mutter telefonisch darüber informiert, dass es möglich sei die Gentherapie nun durchzuführen. Daraufhin erinnerte meine Mutter die Ärzte, dass sie eine weitere Tochter mit genau dieser Mutation hat. Das ärztliche Personal stellte dann nach langen Untersuchungen fest, dass die Gentherapie bei meiner Schwester und bei mir möglich sei.
Was haben Sie gedacht, als Ihnen bewusst war, dass Sie für die Gentherapie in Frage kommen?
Dass es ausgerechnet für meine Genmutation eine Therapie gibt, grenzt an ein Wunder. Manchmal frage ich mich: „Warum haben Wissenschaftler gerade meine Mutation ausgesucht?“ Ich bin einfach nur dankbar.
Fiel Ihnen die Entscheidung schwer, die Gentherapie durchführen zu lassen?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte schließlich nichts zu verlieren, denn ich konnte nur noch durch ein kleines unscharfes Loch sehen.
Wann haben Sie die Therapie erhalten? Was waren Ihre ersten Eindrücke?
Die Spritze erhält man nur einmalig ins Auge. Das erste Auge wurde im Oktober 2019 behandelt, das andere im Dezember 2019. Nach der OP konnte ich erst mal gar nichts sehen. Ich habe lediglich einen weißen, rauchigen Fleck wahrgenommen. Nach drei Wochen bemerkte ich, dass ich mehr Licht wahrnehmen konnte. Die Kontraste haben ebenfalls zugenommen.
Die Behandlung hat vor über einem Jahr stattgefunden. Wie hat sich Ihre Sehkraft in der Zwischenzeit verändert?
Anfangs hatte ich oft Kopfschmerzen, die aber nach etwa drei Monaten verschwanden. Leider bin ich etwas blendempfindlicher als vor der Gentherapie geworden. Aber das spielt im Vergleich zu der Art und Weise zu sehen, wie es vor der Operation war, keine Rolle. Insgesamt hat sich meine Lebensqualität extrem verbessert: Ich kann mich im Raum orientieren, so dass sich in meiner gewohnten Umgebung sogar schon mal auf den Langstock verzichten kann. Beim Arbeiten am Computer kann ich heute viel mehr Schärfe wahrnehmen.
Ihre jüngere Schwester wurde ebenfalls mit der Gentherapie behandelt. Welche Erfahrungen hat sie gemacht?
Bei meiner Schwester war die RP nicht so stark ausgeprägt wie bei mir. Sie hatte vor der Therapie noch eine Sehkraft von 30 Prozent. Nach der Therapie kann auch sie sich viel besser im Raum orientieren und die typische Nachtblindheit hat stark abgenommen.
Wurden Ihre Erwartungen der Therapie erfüllt?
Natürlich muss man die Langzeitstudien abwarten, aber momentan geht es mir sehr gut. Die Therapie hat sich jetzt schon auf jeden Fall gelohnt. Mein einziger Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Ich kann das Gesicht meines Sohnes wiedererkennen und das ist für eine Mutter das schönste Geschenk im Leben.
Seltene Netzhauterkrankungen – Gemeinsam den Durchbruch schaffen
In Deutschland leben rund 60.000 Menschen mit einer seltenen Netzhauterkrankung (Netzhautdystrophie). Für sie gibt es kaum wirksame Therapien, um den Krankheitsverlauf zu stoppen oder eine Verbesserung herbeizuführen. „Richten Sie sich schon mal darauf ein. Sie werden blind.“ Diese niederschmetternde Diagnose hören viele Betroffene mit einer seltenen Netzhauterkrankung. Wichtig ist, dass Menschen in dieser Situation nicht allein gelassen werden. Bei der Selbsthilfevereinigung PRO RETINA Deutschland e. V. erfahren betroffene Menschen und deren Angehörige Hilfe von umfassend ausgebildeten, selbst betroffenen Beraterinnen und Beratern. Mit dem Instrument der Forschungsförderung trägt PRO RETINA dazu bei, dass seltene Netzhauterkrankungen behandelbar werden. Ein eigenes Patientenregister für über 40 seltene Netzhauterkrankungen bringt Betroffene, Ärzteschaft und Wissenschaft eng zusammen. Die Selbsthilfevereinigung nimmt damit eine Pionierstellung ein: Rund 6.000 Mitglieder, darunter viele ehrenamtlich Aktive, bringen ihre eigenen Erfahrungen mit den Erkrankungen und ein hohes Maß an Engagement ein – zum Wohle aller Menschen mit degenerativen Netzhauterkrankungen. PRO RETINA ist vor mehr als 40 Jahren gegründet worden, weil es für Menschen mit einer Retinitis pigmentosa und anderen Netzhauterkrankungen keinerlei medizinische Hilfe gab. Die Leiterin des Patientenregisters Dr. Sandra Jansen erklärt: „Menschen mit einer Netzhauterkrankung haben oft das Gefühl, sie könnten eine klinische Studie zu ihrer Augenerkrankung verpassen. In der Forschungslandschaft den Überblick zu behalten ist nicht ganz einfach – aber genau dafür gibt es das Patientenregister.“
In den vergangenen Jahren haben vor allem Gentherapien die Erwartung geweckt, dass sich die Situation für die Betroffenen zeitnah verbessern lässt – zumindest bei bestimmten Formen einer Netzhauterkrankung. Hoffnung auf wirksame Therapien verbreitete zuletzt vor allem die Anwendung der ersten zugelassenen Gentherapie für Defekte im Gen RPE65 bei Retinitis pigmentosa. Auch wenn der große Durchbruch für eine ursächliche Heilung nach wie vor auf sich warten lässt, werden bereits einige neue Gentherapien in klinischen Studien erprobt.
PRO RETINA tritt dafür ein, dass die Hürden bei der Diagnosestellung einer erblichen Netzhauterkrankung abgebaut werden. Die eingeschränkte Kostenübernahme bei der molekulargenetischen Diagnostik führte 2020 noch oft zu Komplikationen und Verzögerungen auf dem Weg zur gesicherten Diagnose. Für die Betroffenen entstand dadurch eine große Unsicherheit in Bezug etwa auf die Berufswahl oder die Lebens- und Familienplanung. „Wir freuen uns deshalb sehr“, so Franz Badura, politischer Referent der PRO RETINA, „dass seit 1. Januar 202 die Kosten für die vollständige Ermittlung der beteiligten Gene bei Netzhautdystrophien von den Krankenkassen übernommen werden.“
Zu einer molekulargenetischen Diagnostik muss es jedoch erst einmal kommen. Nicht jede Augenärztin oder jeder Augenarzt zieht direkt die richtigen Schlüsse und denkt an eine Netzhautdystrophie, wenn eine Patientin oder ein Patient mit einer seltenen Erkrankung in der Praxis erscheint. Der Wissensaustausch mit den Expertinnen und Experten und die Vernetzung mit spezialisierten Augenzentren und Kliniken ist in solchen Fällen entscheidend. Dies gelingt in Ballungszentren und Großstädten oft besser als in ländlichen Gebieten. PRO RETINA setzt sich dafür ein, die Bedingungen für Diagnose und Therapie der seltenen Erkrankungen der Netzhaut des menschlichen Auges zu verbessern und unterstützt dabei mit einem vielfältigen Beratungs- und Informationsangebot. Eine wichtige Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben.
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Weitere Informationen finden Sie unter www.pro-retina.de.