Harald B.* ist 74 Jahre alt und hat erfahren, wie sich das Leben mit Hämophilie dank moderner Forschung und Entwicklung zum Guten wenden kann.
Wann wurde bei Ihnen die Diagnose „Hämophilie“ gestellt?
Ich hatte als Baby bereits kurz nach meiner Geburt Blutungen an den Armen und Beinen. Meine Eltern ließen das ärztlich untersuchen und als ich ein halbes Jahr alt war, bekamen sie die Diagnose, dass ich eine schwere Form der Hämophilie A habe.
Wie verlief Ihre Kindheit und Jugend?
Die ersten 25 Jahre meines Lebens habe ich mehr oder weniger im Bett verbracht. Alle zwei, drei Monate lag ich aufgrund verschiedenster Blutungen im Krankenhaus, hauptsächlich in den Gelenken. Manchmal war es durch innere Blutungen auch lebensgefährlich. Die Zeit der Milchzähne war sehr heikel. Dann lief es wie folgt ab: Entweder es gab die Möglichkeit einer Blutübertragung durch Konserven oder, wenn keine greifbar waren, mein Vater hat sich neben mich gelegt und mir eine Direktübertragung gegeben. Das lief über Jahrzehnte so.
Ich wurde die meiste Zeit zu Hause beschult, nur zu Prüfungen haben mich meine Eltern in die Schule getragen. Ich hatte weder Freunde noch andere Sozialkontakte außer meinen Eltern. Meine Welt waren die Bücher, Zeitungen und in Teilen auch das Fernsehen. Man sagt, dass die Kindheit das Leben prägt. Meine Kindheit war geprägt von Schmerzen und der Gewissheit, nicht alt zu werden, wie es meinen Eltern von Ärzten immer gesagt wurde. Heute bin ich 74 – da haben sie sich wohl geirrt.
Wie ging Ihr Leben weiter?
Die vielen Einblutungen in der Kindheit hatten die Folge, dass meine Gelenke sehr deformiert waren und sind. Dadurch hatte und habe ich erhebliche orthopädische Schwierigkeiten. Hinzu kommt das Alter, was es potenziert. Aber Sie werden es nicht glauben, ich bin zufrieden. Die Schmerzen sind weg. Ich hatte nie mehr Schmerzen, seitdem ich den Faktor 8 spritzen kann, daheim, in Selbstbehandlung. Da war ich 26 Jahre alt und mein Leben fing eigentlich erst an. Ich habe studiert und mein Leben so gestaltet wie ich es mir damals, als Kind im Bett, nur erträumen konnte. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie mich unter den schwierigen Umständen der 50er-Jahre durchgebracht haben, und ich bin dankbar für den Faktor 8 und den dann möglichen orthopädischen Therapien in meinem Hämophilie-Zentrum. Trotz aller Schwierigkeiten, die ich habe und hatte, bin ich ein glücklicher Mensch.
Wie haben Sie den HIV-Skandal in den 70er-/80er-Jahren erlebt?
Damals sind rund 4.500 Hämophile-Betroffene in den neuen und alten Bundesländern durch verunreinigte, nicht virusinaktivierte Gerinnungspräparate mit HIV und/oder Hepatitis-C-Viren (HCV) infiziert worden. Ich habe diese Präparate auch bekommen, doch da habe ich zusätzlich zu dem Gendefekt, den ich durch die Hämophilie A habe, einen weiteren Gendefekt, bei dem der HI-Virus nicht andocken kann. Das hat mich davor bewahrt, dass die Krankheit bei mir ausbrach. Da hatte ich großes Glück, denn fast die Hälfte der damals Betroffenen sind daran verstorben.
Was hat sich an den Behandlungsmöglichkeiten geändert?
Seitdem es den Faktor 8 gibt, hat sich für Hämophilie-Betroffene alles verändert. Seitdem können sie ein fast normales Leben führen – dafür sollte jeder betroffene Hämophile jeden Tag dankbar sein.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?
Dass wir mit dem Faktor 8 immer grundversorgt sind. Gerade in der aktuellen Situation, in der sich die Welt befindet, schwindet die Selbstverständlichkeit der Grundversorgung. Dass es hier niemals zu Engpässen kommt, erhoffe ich mir am meisten für die Zukunft. Denn der Faktor 8 ist die Garantie für ein schmerzfreies und lebenswertes Leben.