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Krankheitsbilder

„Mein Mann war ein Kämpfer“

Foto: Privat

Stephanie und ihr Mann Jörg führten ein Leben wie aus dem Bilderbuch: ein schönes Haus, zwei gesunde, lebensfrohe Kinder, tolle Jobs. Dass Jörg an der seltenen Erkrankung PH1 leidet, ändert nichts an ihrem Glück – bis zu dem Tag, als Jörgs Nieren versagen. Im Interview spricht Stephanie über das gemeinsame Leben, die Erkrankung und darüber, was sie sich für Betroffene und Angehörige wünscht.

Welchen persönlichen Bezug haben Sie zur seltenen Erkrankung PH1?

Ich habe meinen Mann durch die Krankheit verloren. Er litt seit Geburt an PH1, doch die Diagnose kam erst 39 Jahre später. Schon als wir uns kennenlernten, mit Mitte 20, hatte er immer mal wieder Nierensteine, hatte Koliken und musste häufiger ins Krankenhaus. Das war auch immer schlimm mit anzusehen – die Schmerzen müssen teilweise schrecklich gewesen sein. Doch mein Mann hat sich das, außerhalb dieser Akutphasen, nie anmerken lassen. Er war ein Kämpfer, hat nicht gern Schwäche gezeigt und hat versucht, die Krankheit einfach aus seinem Leben auszuklammern. Seine Nierensteine sammelte er wie Trophäen, wohl auch um sich selbst zu beweisen, dass er stärker ist als die Krankheit. Das hat lange gut funktioniert, doch leider nicht so lange, bis das Medikament auf den Markt kam.

PH1 ist eine vererbbare Erkrankung. Gab es in der Familie Ihres Mannes Auffälligkeiten?

Jörgs Bruder Jürgen ist im Alter von sieben Monaten an der gleichen Erkrankung gestorben. Auch wenn man die Krankheit damals, 1966, bereits kannte, wurde sie so gut wie nie diagnostiziert. Meine Schwiegermutter sagte auch immer nur: „Es waren die Nieren.“ Sie haben es nicht hinterfragt und konnten auch medizinische Sachverhalte nicht verstehen. Heute weiß man, dass er an PH1 gestorben ist. PH1 ist autosomal-rezessiv vererbbar, das heißt, beide Eltern müssen Träger gewesen sein und  haben das defekte Gen an ihre Kinder weitergegeben, ohne selbst zu erkranken.


Wie hat die Erkrankung Ihres Mannes Ihr Familienleben verändert?

Jahrelang gar nicht. Wir haben das Leben in vollen Zügen genossen. Wir sind viel gereist, haben unseren Kindern die Welt gezeigt. Mein Mann war beruflich sehr erfolgreich und hat sich immer neue Karriereziele gesetzt. Er war superfit und voller Lebensenergie. Krank zu sein, hat da für ihn einfach nicht reingepasst. Auch wenn er regelmäßig Kontrolltermine hatte, hat er nie über seine Krankheit gesprochen und immer abgeblockt, wenn ich ihn darauf angesprochen habe. Bis es nicht mehr wegzudrücken ging.

Bitte gehen Sie näher darauf ein.

Ende 2015 hatte er immer mal einen Tremor. Anfang 2016 waren wir in Tirol Ski fahren, wo er öfters gestürzt ist. Ich habe ihn gebeten, zum Arzt zu gehen, doch er wollte partout nicht. Im Nachhinein habe ich einen Arztbrief gefunden, in dem stand, dass seine Kreatininwerte steigen, er engmaschiger zur Kontrolle muss und es sein kann, dass er eine Dialyse benötigt. Davon hat er mir nie etwas erzählt. Ostern und Sommer 2016 habe ich eine deutliche Veränderung bei Jörg wahrgenommen. Er wurde fahrig, hat gezittert und Dinge durcheinandergebracht. Ich begann mir immer größere Sorgen zu machen, habe ihn immer wieder gebeten, zum Arzt zu gehen. Doch er wollte es einfach nicht wahrhaben. Im Juli 2016 waren wir in Frankreich, und dort ist er zusammengebrochen – Nierenversagen. Mein Mann wurde als Notfall in die Uniklinik eingeliefert, wo er noch in der Aufnahme notdialysiert wurde. Von da an war unser Leben, wie wir es kannten, vorbei und es ging fast nur noch bergab: Dialyse, Transplantation, Sepsis, Koma – zwei Jahre später war Jörg tot.

Warum sind ein offener Umgang mit der Erkrankung und die Vernetzung mit anderen Betroffenen so wichtig? Welche Möglichkeiten zur Vernetzung und Hilfsangebote gibt es?

Selbsthilfegruppen und Vernetzung sind meiner Meinung nach sehr wichtig. Einerseits hat es den emotionalen Faktor, dass man andere trifft, die auch betroffen sind und mit denen man sich austauschen kann. Jörg wollte das leider nie, weil es ihn heruntergezogen hat. Zudem bekommt man über Selbsthilfegruppen den Kontakt zu Spezialisten. Ich war selbst in einer PH-Selbsthilfegruppe tätig und habe gemerkt, dass viele Leute viel zu wenig informiert sind. Uns ging es auch so. Niemand hat uns über Warnsignale wie den typischen Geruch nach Salmiak oder die Verwirrtheit wegen des hohen Harnstoffwertes bei einem Nierenversagen aufgeklärt. Hätte ich das gewusst, hätten wir schneller reagieren können.

Was wünschen Sie sich an Veränderungen, wenn es um die Versorgung Betroffener geht?

Ich wünsche mir, dass Urologen genauer hinschauen und die Erkrankung dadurch früher erkannt wird. Zudem wünsche ich mir psychologisch geschultes Personal in den Kliniken, das als Bindeglied wirkt zwischen den Ärzten und den Patienten und deren Angehörigen, um sie aufzufangen, aber auch um ihnen Sachverhalte so zu erklären, dass alle es verstehen. Das bleibt häufig auf der Strecke und Patienten und Angehörige stehen alleingelassen da.

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