Unter Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) versteht man eine Gruppe von seltenen Erkrankungen des Knochenmarks, pro Jahr erkranken in Deutschland ein bis zwei Menschen pro 100.000 Einwohner. Charakteristisch für diese Krankheitsbilder ist eine gesteigerte Produktion von Blutzellen, was sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern kann, die das Leben Betroffener zum Teil stark beeinträchtigen.
Zu den MPN zählt auch die Primäre Myelofibrose (PMF), von der Stefanie Peheim betroffen ist. Sie erzählt uns von ihrem Weg zur Diagnose und ihrem Leben mit dieser seltenen chronischen Erkrankung.
Frau Peheim, Sie sind betroffen von der Primären Myelofibrose. Können Sie uns erzählen, wann erstmals Beschwerden aufgetreten sind und wie diese aussahen?
Etwa ein bis zwei Jahre vor der Diagnose bemerkte ich erste Beschwerden wie Taubheit in den Fingern, auch Müdigkeit am Tag, besonders gegen Mittag. Ich habe sehr viel Schlaf gebraucht, den brauche ich nach wie vor.
MPN sind von Mensch zu Mensch in der Ausprägung sehr verschieden. Wann wurde die richtige Diagnose gestellt?
Das war im Jahr 2020, ich war 26 Jahre alt. Ich hatte Blut gespendet, im Anschluss erhielt ich eine Auswertung meiner Blutwerte. Weil mein Thrombozytenwert erhöht war, wurde mir geraten, ihn noch mal beim Hausarzt kontrollieren zu lassen. Mein Hausarzt empfahl mich dann weiter an eine Spezialistin, dort erhielt ich einen Monat später die Diagnose.
Gab es direkt eine passende/individuelle Behandlungsoption für Sie?
Mir wurde gut erklärt, was es mit der Erkrankung auf sich hat, wie sie sich auf mein Leben auswirkt und welche Möglichkeiten es gibt. Da ich keine großen Beschwerden hatte und auch die Werte nicht dramatisch waren, habe ich in Rücksprache mit meiner Ärztin anfangs keine Medikamente genommen, sondern ging nur regelmäßig zur Kontrolle. Erst mal abzuwarten, war für mich der richtige Weg. Im Herbst 2022 haben sich die Werte etwas verschlechtert und ich habe begonnen, Medikamente zu nehmen. Die Einstellungsphase dauert mindestens drei bis vier Monate, bei manchen durchaus auch länger. In dieser Phase muss man sowohl die Blutwerte als auch mögliche Nebenwirkungen monitoren. Erst nach dieser Phase kann man beurteilen, wie der Körper die Medikamente annimmt und welche Therapie die individuell passende ist. In dieser Phase befinde ich mich.
Zudem wurde mir direkt zu Beginn meiner Therapie von einer Studie berichtet, an der ich seitdem teilnehme. Vor allem bei seltenen Krankheiten wie der PMF ist das sehr wichtig, damit an den Medikamenten geforscht werden kann und Betroffene direkt in das Forschungsgeschehen mit einbezogen werden können.
Ich muss gut auf meinen Körper aufpassen und dafür sorgen, dass er bekommt, was er braucht.
Was sind für Sie persönlich die größten Belastungen und Herausforderungen, die mit der Erkrankung einhergehen?
Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich realisierte, dass ich eine Erkrankung habe, anfangs habe ich es verdrängt. Erst im letzten Jahr wurde mir richtig bewusst, dass ich auf meinen Körper aufpassen und gut dafür sorgen muss, dass er bekommt, was er braucht.
Die Müdigkeit ist sehr präsent – auch wenig Energie kenne ich sonst gar nicht von mir, ich habe immer viel unternommen. Jetzt muss ich konsequent auf meinen Körper hören und sehen, wo meine Grenzen sind. Grenzen zu stecken und genau hinzusehen, was mir guttut, das ist derzeit die größte Herausforderung für mich. Auch habe ich häufig mit schweren Beinen zu kämpfen: Bei meiner Tätigkeit als Konditorin merke ich das oft schon nach zwei bis drei Stunden, da ich ja viel im Stehen arbeite. Durch die medikamentöse Behandlung hat sich das aber bereits gebessert.
Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihr Berufsleben aus?
Die Diagnose hat mich in meiner Berufswahl einmal mehr bestätigt. Ich wollte etwas tun, das mir zu 100 Prozent Freude macht, und bin seit knapp zwei Jahren als Konditorin selbstständig. Meine Arbeitsstätte ist in der Nähe, ich bekomme auch sehr viel Unterstützung durch meine Familie. Anders würde es nicht funktionieren.
Wie gehen Sie mit der Last Ihrer Erkrankung um, und was hilft Ihnen im Umgang mit der PMF?
Abgesehen davon, dass es mir hilft, meine Zeit und Energie gut einzuteilen, schätze ich den Austausch mit anderen Betroffenen sehr. Bis zur Diagnose war ich nie wirklich krank, ich musste auch nie Medikamente nehmen. Durch den Austausch bekomme ich einen besseren Einblick in den Alltag mit der Erkrankung. Wie geht es anderen Betroffenen damit, was machen sie? Man unterstützt sich gegenseitig sehr.
Eine solche Erkrankung betrifft auch indirekt die Angehörigen. Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Erkrankung um?
Insgesamt sehr gut, ich bekomme viel Unterstützung. Bei mir ist die Krankheit aber auch derzeit kein großes Thema, ich habe wenig Beschwerden.
Welche Rolle spielt für Sie die Vernetzung in der Selbsthilfegruppe?
Diese Möglichkeit empfinde ich als sehr wertvoll. Die Krankheit ist noch relativ wenig erforscht, es gibt kein Patentrezept für den Umgang, vieles muss individuell betrachtet und angepasst werden. Manchmal haben andere Betroffene ergänzend zu Ärzten wertvolle Tipps, einfach aus der Alltagserfahrung heraus – z. B. wann die beste Tageszeit für die Einnahme der Medikamente ist. Meine Ärztin hat mich auf eine Selbsthilfegruppe in Österreich aufmerksam gemacht, dort bin ich Mitglied. Durch eigene Recherche habe ich auch Gruppen auf Facebook gefunden, in denen ich aktiv bin.
Was haben Sie aus Ihrer Erfahrung mit der Krankheit gelernt, was würden Sie an andere Betroffene weitergeben?
Es ist wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen. Man sollte nicht ängstlich an das Thema herangehen, sondern sich an die Situation anpassen und sie ins Leben integrieren. Ich versuche, die Krankheit ganzheitlich zu sehen. Nicht nur Medikamente können helfen, eine Erkrankung hat auch eine psychologische Komponente. Diesen ganzheitlichen Ansatz würde ich sehr empfehlen.
MPN-NETZWERK – EIN NETZWERK, DAS TRÄGT
Das MPN-Netzwerk e. V. ist eine Selbsthilfeinitiative für Menschen mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und ihre Angehörigen. Wir stellen fundierte, allgemein verständliche Informationen zu MPN-Erkrankungen zur Verfügung und bieten Patient:innen und deren Angehörigen die Möglichkeit, sich miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Zudem arbeiten wir eng mit einschlägigen Expert:innen für die MPN-Erkrankungen zusammen, um die Forschung weiter voranzutreiben.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.mpn-netzwerk.de