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HAE

Hereditäres Angioödem: „Man muss offen über die Erkrankung sprechen und immer am Ball bleiben!“

Foto: Ekaterina mit ihren beiden Kindern. Alle drei sind betroffen vom Hereditären Angioödem.
© Privat

Das hereditäre Angioödem (kurz HAE) ist eine seltene vererbbare Erkrankung, die sich durch wiederkehrende Schwellungen bemerkbar macht. Die Schwellungen verursachen starke Schmerzen und können lebensbedrohlich werden. Ekaterina ist HAE-Patientin und hat zudem zwei Kinder, die ebenfalls von der Erkrankung betroffen sind. Mit ihr sprachen wir über den Umgang mit ihrer eigenen Erkrankung und der ihrer Kinder.

Liebe Ekaterina, wie sah dein persönlicher Weg mit HAE aus: Wann hast du erste Symptome bemerkt, wie sahen die aus und wie lange hat es bis zur Diagnose gedauert?

Ich hatte schon im Kindesalter immer wieder unerklärliche Schwellungen an den Händen und im Gesicht sowie Bauchschmerzen, für die keine Ursache gefunden werden konnte. Rückblickend weiß ich, dass das die typischen HAE-Beschwerden waren. Hinzu kommt, dass mein Vater an einer Asphyxie verstorben ist, er war also sehr wahrscheinlich auch von HAE betroffen und ist an den Folgen einer Schwellungsattacke gestorben.

Die Diagnose habe ich aber erst erhalten, als ich schon erwachsen war. Ich muss 19 oder 20 Jahre alt gewesen sein. Tatsächlich hat mein damaliger Gynäkologe sich erinnert, dass er schon einmal eine Patientin mit ähnlichen Symptomen hatte, bei der dann HAE diagnostiziert wurde. Ich hatte also Glück, dass dieser Arzt schon mal etwas von HAE gehört hatte. Er hat einen Bluttest veranlasst, und so wurde die Diagnose gestellt. Im Klinikum Frankfurt wurde dann meine Behandlung in die Wege geleitet.

Deine Kinder sind ebenfalls von HAE betroffen. In welchem Alter wurden sie getestet und wie haben Du und dein Mann die Diagnose erlebt?

Da meine Diagnose bereits stand, wurden unsere Kinder schon mit drei Monaten im Klinikum Frankfurt getestet. Die Diagnose unseres ersten Kindes hat uns sehr hart getroffen, das war schwer zu verarbeiten. Man weiß nicht, was auf einen zukommt. Auch bei unserem zweiten Kind war die Diagnose ein Schock. Das zieht einem als Eltern den Boden unter den Füßen weg.

Natürlich hofft man, dass die Krankheit mild verläuft und man das schon irgendwie schafft. Wir haben uns ärztlich in Frankfurt auch gut aufgehoben gefühlt, aber der Weg ins Klinikum war weit und zu Hause waren wir zunächst auf uns allein gestellt.

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Welche Maßnahmen hast du ergriffen, um deine Symptome und die deiner Kinder zu managen und wie hast du dich und deine Kinder auf Notfälle vorbereitet?

Sowohl ich als auch unsere Kinder wurden mit Akutmedikamenten ausgestattet, damit wir im Notfall sofort reagieren können. Aber dazu muss man wissen, dass das Medikament, das wir damals bekamen, in die Vene gespritzt werden musste. Ich habe mir das unter Anleitung der Ärzte im Klinikum selbst beigebracht und mir das Medikament dann selbst verabreicht, sobald ich eine beginnende Attacke bemerkte. In meinen Schwangerschaften wurde das aber schwierig, denn ich hatte alle zwei Tage eine Schwellungsattacke. Zwar wusste ich, wie ich mich selbst spritzen kann, aber wenn beide Hände angeschwollen sind, ist das einfach unmöglich. Das war keine einfache Zeit, da ich auf fremde Hilfe angewiesen war.

Für die Kinder mussten wir schauen, dass wir vor Ort jemanden finden, der das Medikament verabreichen kann. Denn bei Babys ist es besonders schwer, eine Vene zu finden, das konnten wir als Eltern nicht leisten. Die ersten äußerlich erkennbaren Attacken hatten unsere Kinder etwa im Alter von 12 Monaten, ab da wurden sie dann auch medikamentös behandelt. Wir mussten dann immer ins 30 km entfernte Kinderkrankenhaus fahren, sobald eine Attacke auftrat. Aber im Kinderkrankenhaus mussten wir jedes Mal die Situation erklären, damit wir auch direkt als Notfall behandelt wurden, der wir nun mal waren. Ich war dann immer schon gewappnet für den Kampf mit dem Empfang, damit gleich klar wird, dass es jetzt schnell gehen muss und wir mit unseren Kindern direkt zum Arzt können.

Ein Beispiel verdeutlicht die Dramatik sehr gut: Meine Tochter kam im Alter von vier Jahren mit Halsschmerzen zu mir. Ich habe sie zweimal weggeschickt, weil ich dachte, dass es ein Infekt wäre. Als sie zum dritten Mal zu mir kam, habe ich mit der Taschenlampe in ihren Hals geschaut.

Ich bin total erschrocken, da sie eine Schwellung im Hals hatte und keine Luft mehr bekam. Sie schwebte also in akuter Lebensgefahr. Ich bin direkt mit ihr und dem Notfallmedikament zur Kinderärztin losgefahren, weil der Weg in die 30 km entfernte Kinderklinik zu lang gewesen wäre. Die zehn Minuten Fahrt kamen mir vor wie eine Ewigkeit, ich hatte unsagbare Angst um mein Kind. Die Ärztin hat sofort reagiert und das Medikament gespritzt. Aber nach dieser Situation haben wir noch wochenlang in Angst gelebt. Ich konnte nicht schlafen, weil ich immer ein Ohr bei den Kindern hatte, habe mir alle zwei Stunden den Wecker gestellt, um den Hals zu kontrollieren. In meiner Verzweiflung habe ich mich an die Kinderärztin gewandt, und sie hat mir dann beigebracht, wie ich die Kinder in die Vene spritze. Ich durfte mich jeden Tag nach Feierabend an ihren Händen austoben, bis ich mich so sicher gefühlt habe, um auch die Kinder spritzen zu können. Ich bin ihr unglaublich dankbar dafür!

Der wichtigste Punkt ist, viel und offen über die Erkrankung zu sprechen, egal ob in der Familie, im Freundeskreis oder mit dem Fachpersonal.

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Was waren die größten Herausforderungen, die du und deine Kinder aufgrund von HAE bewältigen musstest?

Ich selbst bin nach der Diagnose dann schnell in einen Selbstversorger-Modus gekommen, da ich mir das Medikament meist selbst verabreichen konnte. Auch wenn ich selbst HAE habe, war und ist die Erkrankung meiner Kinder für mich die größte Sorge. Denn ihr und unser Alltag war besonders vor der Prophylaxetherapie immer von drohenden Attacken bestimmt. Sie konnten nicht einfach mal auf einen Kindergeburtstag gehen oder Ausflüge machen, an eine unbeschwerte Kindheit war also nicht zu denken. Hinzu kam die Angst vor dem ständigen Piks.

Wir waren alle zwei Tage im Krankenhaus, unser kompletter Familienalltag war der Erkrankung unterworfen. Ich war ständig auf Abruf, hatte immer ein Auge aufs Telefon, konnte nichts wirklich in Ruhe erledigen. Das ist eine Dauerbelastung, die uns als Familie alles abverlangt hat.

Deinen Kindern und dir wurde irgendwann eine prophylaktische Behandlung angeboten. Hast du das Gefühl, dass die Prophylaxe deine und die Lebensqualität deiner Kinder verbessert?

Das erste Medikament zur Prophylaxe war ein Präparat, das auch in die Vene gespritzt werden musste. Das war natürlich noch mal ein Ansporn mehr für mich, um das Spritzen selbst zu lernen. Denn die Situation war folgende: Wir hatten nun zusätzlich zum Akutmedikament eine Möglichkeit, um Attacken vorzubeugen, aber kein Arzt hat einem augenscheinlich gesunden Kind etwas in die Vene spritzen wollen. Wir hatten zwar einen Notfall-Ausweis, damit im Fall einer Attacke jeder Arzt reagieren kann. Mit der prophylaktischen Gabe des Medikamentes sah es aber anders aus und wir hatten große Probleme, ernst genommen zu werden. Denn wenn gerade keine Attacke da ist, sieht man uns natürlich nicht an, dass wir eine schwere Erkrankung haben. Unsere Kinderärztin ist hier wieder eingesprungen und hat uns zu Beginn ausgeholfen. Als dann aber die Betriebsferien bei unserer Kinderärztin anstanden, wusste ich: Jetzt wird es ernst. Ich habe also weiter geübt und geübt, um auf diese Zeit vorbereitet zu sein, weil ich wusste, dass ich die Kinder zweimal wöchentlich selbst spritzen musste. Aber wir haben es hinbekommen, auch wenn wir nach der ersten Spritze wirklich schweißgebadet waren…

Die Prophylaxe war wirklich ein Game Changer für uns. Vorher hatten die Kinder etwa alle zwei Tage eine Attacke. Zudem haben sie aus Angst vor dem Spritzen die Attacken manchmal versteckt. Mein Sohn hatte einmal eine Knie-Schwellung in der Kita, aber hat sich dann einfach hingesetzt und ist nicht mehr aufgestanden, bis ich ihn abgeholt habe. Die Kita-Mitarbeiter wussten zwar über seine Erkrankung Bescheid und haben uns ganz toll unterstützt, aber in solchen Situationen können sie natürlich nicht reagieren, wenn er die Schwellung bewusst versteckt. Nun waren plötzlich viele Dinge möglich, die vorher nicht denkbar waren: Die Kinder konnten ohne unsere Begleitung auf Kindergeburtstage gehen, wir konnten Ausflüge unternehmen, sie hatten nun einen weitestgehend normalen Schul- und Kita-Alltag. Kurz: Sie konnten ein normales Kinderleben leben. Und wir Eltern mussten uns nicht permanent sorgen, ich konnte mal wieder zum Friseur, konnte in Ruhe einkaufen, ohne ständig in Rufbereitschaft zu sein: Dinge, die für die Eltern gesunder Kinder ganz normal sind, aber sich für mich angefühlt haben wie ein neues Leben!

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Wie hast du vor, deine Kinder auf den Übergang ins Erwachsenenalter vorzubereiten, insbesondere in Bezug auf das Selbstmanagement ihrer Erkrankung?

Das ist kein ganz einfaches Thema. Denn egal, wie gut man die Kinder vorzubereiten versucht: Man weiß trotzdem nie, ob sie das Ganze ernst genug nehmen werden. Vieles aus der Kindheit vergisst man: Die Schmerzen, den Stress, die Einschränkungen, die Gefahren. Meine Tochter ist jetzt zehn, mein Sohn sieben: noch verstehen sie den Ernst der Lage nicht. Ich hoffe, dass sie mit vielleicht 15, 16 bereit sein werden, sich damit auseinanderzusetzen, dass die Erkrankung sie ihr Leben lang begleiten wird und es extrem wichtig ist, dass sie Verantwortung für ihre Behandlung übernehmen. Ich werde sie immer begleiten, werde immer für sie da sein und kann ihnen mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen weiterhelfen.

Auch, damit sie nie die Erfahrung machen müssen, die wir als Eltern gemacht haben, falls sie später selbst Eltern werden.

Hast du in der Vergangenheit Unterstützung außerhalb der Familie gesucht?

Ich bin in unserem Ort stets mit einer Frau im Kontakt, die selbst von HAE betroffen ist und eine erkrankte Tochter hat. Das ist für mich mein Auffang-Netz. Wir können uns immer gegenseitig anrufen, tauschen uns aus und unterstützen uns gegenseitig. Denn ich weiß: Nur sie kann mich wirklich zu 100 % verstehen, da sie ähnliche Erfahrungen gemacht hat.

Welche Ratschläge würdest du anderen Betroffenen, aber auch anderen Eltern geben, deren Kinder von HAE betroffen sind?

Der wichtigste Punkt ist, viel und offen über die Erkrankung zu sprechen, egal ob in der Familie, im Freundeskreis oder mit dem Fachpersonal. Sonst kocht man nur in seiner eigenen Suppe und kommt aus diesem Kreislauf nicht heraus. Denn eine solche Erkrankung mit all ihren Herausforderungen verlangt einem körperlich und psychisch sehr viel ab.

Außerdem muss man immer am Ball bleiben. Fühlt man sich z. B. bei einem Arzt nicht wohl oder ernst genommen, dann sollte man sich einen anderen suchen, der die Sache mit der Ernsthaftigkeit behandelt, die sie braucht. Das betrifft sowohl den Weg bis zur Diagnose als auch die therapeutische Betreuung. Das wäre auch noch ein dringender Wunsch von mir als selbst Betroffene und Mutter von zwei betroffenen Kindern: Dass Ärzte und Ärztinnen, aber besonders auch Krankenpfleger und -pflegerinnen besser über HAE informiert sind, damit Betroffene im Notfall schnell Hilfe bekommen. Denn manchmal geht es buchstäblich um Leben und Tod, das muss man so deutlich sagen.

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