Ein Gespräch mit PD Dr. Dr. med. Stephan von Haehling, Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Pneumologie an der UMG in Göttingen, über die nicht seltene, aber selten erkannte Erkrankung Tumorkachexie.
PD Dr. Dr. med. Stephan von Haehling
Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Pneumologie an der UMG in Göttingen
Was ist unter Tumorkachexie zu verstehen?
Tumorkachexie beschreibt einen ungewollten Gewichtsverlust, der im Rahmen einer Tumorerkrankung auftritt. Bei Tumorerkrankungen ist eine Kachexie im späten Krankheitsverlauf sehr häufig.
Sie kommt aber auch häufig bei anderen chronischen Erkrankungen vor wie bei chronischer Nieren- oder Herzschwäche oder auch bei COPD.
Wie kann man sie diagnostizieren?
Das geht eigentlich relativ einfach, indem man sich den Gewichtsverlauf des Patienten anschaut. Am besten geschieht dies über mehrere Monate oder ein Jahr. Natürlich muss das Gewicht immer unter gleichen Bedingungen und am besten mit derselben Waage festgestellt werden.
Das Problem ist, dass es keine eindeutigen Symptome einer Kachexie gibt
Wenn es zu einem langsamen – oder auch beschleunigten – Abbau von Gewicht kommt, der nicht durch eine Diät verursacht ist, dann kann man bei einem chronisch kranken Patienten davon ausgehen, dass dieser auch unter einer Kachexie leidet.
Einige Fachgesellschaften fordern daneben Zusatzkriterien, aber der Gewichtsverlust bleibt am wichtigsten.
Wie äußern sich die Symptome?
Das Problem ist, dass es keine eindeutigen Symptome einer Kachexie gibt. Die Patienten merken nur, dass sie dünner und meist auch schwächer werden. Das Phänomen tritt bei Normalgewichtigen genauso wie bei Übergewichtigen auf, bei Frauen wie bei Männern.
Hochverdächtig ist ein Gewichtsverlust von fünf Prozent oder mehr über einen gewissen Zeitraum. Diese Patienten können eine Tumorkachexie haben, unabhängig von ihrem aktuellen Gewicht.
Was passiert bei einer Tumorkachexie im Körper?
Bei Tumorerkrankungen spricht man gern von „konsumierenden“ Erkrankungen, weil sie die Energieressourcen des Körpers aufbrauchen. Dazu gehört der Abbau von Fett-, aber vor allem auch von Muskelmasse. Man kann dies als ein Ungleichgewicht zwischen Muskelauf- und -abbauprozessen verstehen, bei denen der Abbau überwiegt.
Wie häufig tritt die Erkrankung auf?
Das hängt in erster Linie von der Art des Tumors ab. Bis zu 80 Prozent der Patienten, die an Bauchspeicheldrüsen- oder anderen Tumoren des Magen-Darm-Traktes leiden, sind betroffen. Auch beim Lungenkrebs tritt die Tumorkachexie häufig auf. Bei Leukämie oder Tumoren des blutbildenden Apparates ist sie eher selten.
Die Tumorkachexie ist also nicht selten, aber selten erkannt. Warum?
Beschrieben wurde die Kachexie schon im alten Griechenland. Sie ist also wirklich nicht unbekannt. Überspitzt formuliert assoziieren aber viele Ärzte die Tumorkachexie mit einem schon offensichtlich abgemagerten Patienten.
Die eigentlich erfolgversprechende Therapie, eine Blockade des Muskel- und Gewebeabbaus zu erreichen, ist bisher noch nicht gelungen.
Dieses Bild gilt es zurechtzurücken, denn auch Übergewichtige können schon unter einer Kachexie leiden. Sie muss also erst einmal bemerkt und als solche diagnostiziert werden.
Auf der anderen Seite kann auch der Gewichtsverlust, als erstes von den Patienten bemerktes Symptom auf eine chronische Erkrankung hindeuten. Dann muss man möglicherweise nach einem Tumor suchen.
Welche Ärzte sind für die Diagnose entscheidend?
Gefragt ist nicht nur der Hausarzt, sondern jeder Arzt, der aktuell die chronischen Erkrankung des Patienten therapiert. Denn mit der Kachexie verschlechtert sich die Prognose des Patienten und – bedingt durch den Abbau von Muskelmasse – auch die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität.
Gibt es bereits Ansätze, um eine Tumorkachexie zu therapieren?
Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Studien, die sich des Problems der Therapie der Kachexie angenommen haben. Ein Präparat zur Therapie der Tumorkachexie steht jedoch noch nicht zur Verfügung.
Das Problem besteht zum einen darin, dass die Kachexie nicht allein durch eine Erhöhung der Energiezufuhr, also eine Erweiterung der Nahrungsaufnahme zu bewältigen ist. Die eigentlich erfolgversprechende Therapie, eine Blockade des Muskel- und Gewebeabbaus zu erreichen, ist bisher noch nicht gelungen.
Daher wird derzeit vor allem eine Stimulation des Appetits und auch körperliche Aktivität empfohlen. Soweit Tumorpatienten zu Sport in der Lage sind, sollten sie hier ihre Möglichkeiten ausloten, um dem Muskelabbau entgegen zu wirken.
Davon unabbhängig muss natürlich die Konzentration der behandelnden Ärzte auf der Therapie der jeweiligen chronischen Grunderkrankung liegen.
Autor: