Akute hepatische Porphyrien sind eine Gruppe seltener metabolischer Erkrankungen, die bei den Betroffenen starke Beschwerden hervorrufen und den Alltag stark beeinträchtigen können. Wie bei vielen seltenen Erkrankungen müssen Ärzte bei der Diagnosefindung medizinische Detektivarbeit leisten, um Patienten helfen zu können. Ein Gespräch mit Nils Wohmann und Dr. Ilja Kubisch vom Porphyriezentrum Chemnitz.
Nils Wohmann
Porphyriezentrum Chemnitz
Dr. Ilja Kubisch
Porphyriezentrum Chemnitz
Von akuter hepatischer Porphyrie (AHP) hat Otto-Normal-Bürger wahrscheinlich noch nie etwas gehört. Was passiert im Körper Betroffener?
Generell sind so genannte Porphyrine lebenswichtige biochemische Bausteine für Pflanzen, Tiere und Menschen. Sie haben die Fähigkeit, elektromagnetische Strahlung im Lichtspektrum zu absorbieren und die aufgenommene Energie wieder abzugeben. In Pflanzen sind Porphyrine zum Beispiel in Form des grünen Blattfarbstoffs Chlorophyll für die Photosynthese verantwortlich. Bei den tierischen und damit auch den menschlichen Zellen bilden sie zusammen mit Eisen Häm-Moleküle. Diese sind als Hämo- beziehungsweise Myoglobin essenziell für die Sauerstoffversorgung im Körper. Auch als Bestandteil vieler Enzyme sind Porphyrine von grundlegender Bedeutung für den geregelten Ablauf von Stoffwechselprozessen, besonders in der Leber.
Bei Porphyrien handelt es sich um acht verschiedene, meist angeborene, Stoffwechselerkrankungen. Bei den Betroffenen gibt es jeweils ein Defekt eines Enzyms der Hämsynthese. In der Folge kommt es zur Anhäufung von Zwischenprodukten. Durch ihre Ablagerungen in Haut, Leber und Nervensystem treten verschiedene Symptome auf. Experten klassifizieren die Porphyrien noch mal unterschiedlich, zum Beispiel in akute oder nicht-akute Porphyrien.
Wie äußert sich eine AHP konkret: Gibt es eine bestimmte Symptomkonstellation, bei der man hellhörig werden sollte?
Wie der Name schon sagt, leiden die Patienten oft unter akuten Attacken. Es kommt zu Übelkeit, Erbrechen, diffusen Bauchschmerzen, aber auch zur Ausstrahlung in den Rücken oder die Beine. Dazu kommen mögliche psychische Beschwerden, auch ein roter Urin zählt zu den Symptomen. Lähmungen in Armen oder Beinen, Krampfanfälle oder Atembeschwerden führen dann zur Aufnahme auf die Intensivstation. Atemlähmungen oder Herzrhythmusstörungen sind mögliche lebensbedrohlichen Komplikationen.
Wo liegt die Schwierigkeit bei der Diagnosefindung und gibt es Verwechslungsmöglichkeiten mit anderen Erkrankungen?
Die eben beschriebenen Symptome legen natürlich Verwechslungen nahe. Die größte Schwierigkeit liegt darin, dass ein Arzt nicht sofort an diese seltene Erkrankung denkt. Vielen Medizinern ist sie unbekannt. Deshalb haben Patienten eben einen langen Leidensweg, weil Ärzte nicht oder falsch diagnostizieren. Leider können aber sogar falsch verschriebene Medikamente weitere Attacken auslösen. Die Diagnose im Labor mit einer Urinprobe ist dann an sich nicht kompliziert. Allerdings braucht es ein standardisiertes Labor und eine saubere Analyse.
Handelt es sich um eine erblich bedingte Erkrankung?
Ja, die akuten hepatischen Porphyrien werden autosomal-dominant vererbt. Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind anfälliger dafür. Da spielen hormonelle Veränderungen im Rahmen des Monatszyklus eine entscheidende Rolle. Aber auch Männer können betroffen sein. Circa eine von 100.000 Personen kann daran erkranken. Zwar hat wohl einer von 1.500 Personen diesen Gendefekt. Aber bei nur wenigen bricht die Krankheit aus. Sinnvoll ist nach einer Diagnose daher die genetische Untersuchung der gesamten Familie. Auf diese Weise lassen sich bei Betroffenen die auslösenden Faktoren leichter meiden und die Beratung verbessern.
Gibt es die Möglichkeit, AHP zu behandeln und können Betroffene unter Therapie ein beschwerdefreies Leben führen?
Entscheidend ist, wie gesagt, eine frühe Diagnose. Danach kann man die Faktoren beseitigen, die Attacken auslösen: Nikotin, Alkohol, Stress, Ernährung, Fasten oder Medikamente. Hier ist die Aufklärung wichtig. Idealerweise ist sogar der Patient besser informiert als der nächste behandelnde Arzt, gerade wenn es um die bisherige Behandlung mit Medikamenten geht. Wir investieren besonders beim Erstgespräch viel Zeit, um den bisherigen Krankheitsverlauf möglichst genau abzubilden. Medikamente können online anhand der NAPOS-Liste (siehe www.drugs-porphyria.org) auf Verträglichkeit geprüft werden. Unsere Patienten werden außerdem dementsprechend geschult.
Bei den Medikamenten gibt es seit 2020 ein innovatives Präparat. Es hemmt selektiv die messenger-RNA des ersten Enzyms der Hämsynthese in der Leber und senkt nachweislich chronische Symptome, die Schubhäufigkeit und den Bedarf an Hämarginat. Der Arzt spritzt es monatlich unter die Haut.
Das Porphyrie-Zentrum in Chemnitz ist eines von nur wenigen dieser Art in Deutschland. Seit wann gibt es das Zentrum und was zeichnet Ihre Arbeit dort aus?
Wir sind ist ein überregionales Kompetenzzentrum mit europäischer Zertifizierung für alle Arten von Porphyrien. Unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Stölzel, der seit den 80er Jahren dazu forscht und 2001 das Porphyriezentrum in Chemnitz aufgebaut hat, betreut unser Team Patienten mit allen Formen von Porphyrien. Als Kompetenzzentrum verfügen wir über tiefgreifende Erfahrung und langjährige fachliche Expertisen in der Diagnostik und Therapie. Es braucht diese ganzheitliche und patientenzentrierte Betreuung. Wir kümmern uns aber auch um Netzwerke und umfassende Aufklärung. Für uns als Ärzte ist die Diagnostik natürlich spannend. Wir können aber auch vielen, schwer leidenden Betroffenen sehr helfen. Konkret betreuen wir eine Patientin, die mit Lähmungserscheinungen und Atembeschwerden auf der Intensivstation behandelt werden musste, und die durch die entsprechende Therapie wieder voll am Leben teilnimmt, studiert und wunderbar Violine spielt.