Bestimmt hatten Sie schon einmal eine Blase am Fuß, von einem langen Marsch oder einem neuen Schuh, der noch drückt. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben so eine Blase an beiden Füßen und an den Unterschenkeln, rund ums Knie, an Ellenbogen und Händen, am Rücken, am Bauch und im Gesicht. Können Sie sich das vorstellen? Ja? Dann haben Sie eine vage Ahnung davon, wie sich die Welt für ein Schmetterlingskind anfühlt. Das Leben mit Epidermolysis bullosa (EB).
Die Geburt
Volker: Als Maja im März 2011 durch eine Spontangeburt nachmittags auf die Welt kam, fehlte ihr an den Unterschenkeln bis zu den Füßen und von den Händen bis zu den Ellenbogen großflächig die Haut. Es war so, als würde man direkt auf das nackte Fleisch schauen. Nachdem ich einen Teil der Nabelschnur durchtrennen durfte, reagierte Majas Haut sofort an der Stelle, wo die Flüssigkeit ausgelaufen war. Für mich als Vater kein schöner Anblick. Anke wurden die Bilder von der Geburt erst acht Wochen später gezeigt. Daher war sie zu dem Zeitpunkt noch etwas entspannter als ich.
Anke: Als Mutter ist man nach so einer Geburt überaus glücklich und erschöpft. Da Maja mir im Handtuch auf den Bauch gelegt wurde und ihr Gesicht unversehrt war, ist mir die Ernsthaftigkeit des Arztes und der Hebamme nicht so recht aufgefallen. Zu der Zeit habe ich noch das Glück mit unserer kleinen Tochter genossen. Realisiert habe ich es erst, als sie in den Inkubator gelegt wurde und man sie wegbrachte.
Die ersten Gedanken
Volker: Diesen Anblick werde ich nie vergessen. Mein erster Gedanke? Sachlich gesehen habe ich an ein Feuermal gedacht oder dass das bei der Geburt ganz normal ist und gleich wieder verschwindet. Es sah nur so unnatürlich aus, dass ich beim ersten Anblick eher an einen schlechten Horrorfilm mit Aliens gedacht habe. Man steht vollkommen unter Schock und weiß nicht, ob man sich nun freuen oder doch lieber weinen soll. Am Abend alleine zu Hause, muss ich ganz ehrlich sagen, dachte ich auch: Wenn es für Maja nur Qualen bedeutet, dann sollte es für sie möglichst schnell zu Ende gehen.
Anke: Angst und Hoffnung. Ja, das hört sich komisch an. Angst natürlich, weil man nicht weiß, wie es weitergehen soll und was weiter passiert. Aber auch Hoffnung, durch meine Hebamme, die versucht hat, mich aufzubauen. Sie sagte mir, vielleicht ist ja nicht alles so schlimm. Dr. Luma, mein entbindender Arzt, würde sich kümmern. Was ich da noch nicht wusste: Er hatte einen Verdacht, den er den behandelnden Ärzten mitgegeben hat.
Der Weg zur Diagnose
Volker: Maja wurde circa eine Stunde nach der Entbindung in die 40 Kilometer entfernte Kinderklinik nach Vechta verlegt. Sein Kind in so einem Inkubator zu sehen, ist ein trauriger Anblick. Was dann aber kam, war für uns und für Maja eine richtige Tortur, die man sich gar nicht vorstellen kann. Ich bin am Abend der Geburt noch zur Kinderklinik gefahren, um mit den Ärzten zu sprechen. Man steht da und möchte endlich wissen, was unserem Mädchen fehlt, und was bekommt man? Ein Achselzucken. „Wir wissen es nicht“, sagte mir da die Oberärztin. Das kann nicht wahr sein, dachte ich nur. Und jetzt? „Wir telefonieren heute Nacht noch mit anderen Kliniken“, und ich solle mich am nächsten Morgen wieder melden.
Anke: Nach einer unruhigen und ziemlich schlaflosen Nacht habe ich meinen behandelnden Arzt morgens um halb sechs auf dem Krankenhausflur getroffen. Er sagte mir, dass ich zu meiner Tochter verlegt werde. Kurz darauf war das nicht mehr aktuell und er sagte: „Sie haben jetzt sofort die Möglichkeit, nach Vechta ins Krankenhaus zu fahren, die Kleine noch einmal zu sehen und mit den Ärzten zu sprechen. In einer Stunde ist der Helikopter da und bringt sie zum Uniklinikum Münster.“ Das sind Worte, die man nie wieder vergisst. Und wenn man so was zu hören bekommt, geht man erst einmal vom Schlimmsten aus.
Ein normaler Tag
Anke: Wenn man darüber nachdenkt, was wir uns und Maja jeden Tag abverlangen, ist es viel. Der Morgen beginnt um 6 Uhr und startet mit einem Frühstück, wie es in den meisten Haushalten üblich ist. Zum Glück haben wir Frühaufsteher, da bot es sich zu Kindergartenzeiten an, bereits um 6:30 Uhr den Pflegedienst zu nehmen, der uns bei der Wundversorgung am Montag, Mittwoch und Freitag unterstützt. Ein kompletter Verbandswechsel dauert in den meisten Fällen bis zu drei Stunden, daher mussten wir uns für die Schule etwas anderes überlegen. Nach einigem Hin und Her machen wir nun den Verbandswechsel am Abend. So können wir Maja nach dem Frühstück und der Kontrolle des Körpers nach neuen Wunden zur Schule bringen, wo die Integrationshelferin sie entgegennimmt. Jacke ausziehen und Schultasche tragen sind da schon zwei Dinge, die Maja nicht gut machen kann. Nach der Schule wird dann zu Mittag gegessen und die Hausaufgaben werden gemacht. Oft sind dann schon neue Blasen da, die versorgt werden müssen. Hier kann man dann schon sehen, dass die Wundheilung, die Schule und die Verbandswechsel viel Energie brauchen. Es gibt Tage, da ist sie so müde, dass sie nach den Hausaufgaben zum Mittagsschlaf ins Bett geht. Wenn sich dann eine Freundin zum Spielen angekündigt hat, müssen wir sie oft wecken. Viel Zeit bleibt dann nicht, da ab 17:30 Uhr der Pflegedienst vor der Tür steht. Dabei brauchen wir eine ausgeschlafene Maja, sonst werden die Verbandswechsel am Abend sehr anstrengend. Oft ist Maja auch traurig, weil sie nicht mit Freundinnen spielen kann, da Arzttermine oder Verbandswechsel anstehen. Kleine Zwischenfälle, die versorgt werden müssen, sind hier noch nicht einmal erwähnt worden.
Die Diagnose
Anke: Das war das erste Mal, dass ich unsere kleine Maus in so vielen Verbänden gesehen habe. Das war für uns als Eltern die Hölle und es tat in der Seele weh.
Volker: In Münster hatten wir dann das erste Gespräch mit Dr. Frosch, der uns ganz vorsichtig an die vermutete Krankheit heranbrachte. Dass es sich um Epidermolysis bullosa handelt, wurde bereits da vermutet.
Genau diese Vermutung hatte, zu unserem Glück, bereits der entbindende Arzt bei der Verlegung vermerkt, da er so etwas Ähnliches schon einmal in Bayreuth gesehen hatte. Also Glück im Unglück. Leider gibt es bei EB verschiedene Formen, darunter auch eine mit einem tödlichen Verlauf. Nach der Biopsie folgten dann für uns viele Wochen des Bangens.
Epidermolysis bullosa (EB) ist eine genetisch bedingte Hautkrankheit, die je nach Subtyp dominant oder rezessiv vererbt wird. Die Betroffenen werden auch als Schmetterlingskinder bezeichnet, da ihre Haut so verletzlich wie Schmetterlingsflügel ist. Durch das Fehlen eines in den Genen enthaltenen Proteins ist der Zusammenhalt der einzelnen Hautschichten nicht oder nicht ausreichend gewährleistet.
Als wir Ende Mai das Krankenhaus verlassen durften, war die häusliche Versorgung gewährleistet. Bei den mehrstündigen Verbandswechseln unterstützt uns ein Kinderpflegedienst, der alle zwei Tage vorbeischaut. Alle zusätzlichen Blasen und Wunden behandeln wir zwischendurch selbst. Mit den Jahren sind WIR zu den Experten geworden und die Ärzte nehmen jede Information gerne mit. Nur sehr wenige Ärzte können sich bei so einer seltenen Krankheit als Fachleute bezeichnen.
Die weitere Entwicklung
Volker: Nun ist Maja sechs Jahre alt und geht seit August letzten Jahres in die Grundschule. Sie besucht eine ganz normale Grundschule und wird dort von einer Integrationshelferin unterstützt, die ihr bei den Dingen hilft, die für andere Kinder in ihrem Alter bereits machbar sind. Durch die Wunden an ihren Händen ist sie sehr eingeschränkt. Alle Dinge, die mit Kraft oder Reibung zu tun haben, kann sie nicht oder nur mit Mühe machen. Oft sind es Sachen, die für uns selbstverständlich sind, Stifte öffnen, einen Reißverschluss, eine Flasche öffnen oder der Toilettengang. Wir als Eltern sind der Meinung, sie soll so normal wie möglich aufwachsen, und darum haben wir sie bereits im Kindergarten mit anderen Kindern spielen lassen, obwohl das Risiko von neuen Wunden dadurch groß ist. Als Dank dafür haben wir nun ein selbstbewusstes kleines Mädchen, das sehr tapfer täglich seine Wunden versorgen lässt.
Anke: Schön ist auch zu sehen, wie ihr Umfeld damit umgeht. Für ihre Freundinnen ist es völlig normal, dass sie Verbände trägt und vorsichtig ist. Viele Erwachsene sind vorsichtig und zurückhaltend. Die Kinder gehen da offener mit um. Im Schwimmbad werden wir immer seltener schief angesehen, da es normal ist. Viele kennen uns mittlerweile und haben da keine Probleme mehr mit.
Volker: Durch Sina, die zwei Jahre später ohne EB zur Welt kam, haben wir festgestellt, dass Eltern sein sich auch anders anfühlen kann. Jedes Kind ist verschieden und das zeigen uns die beiden täglich. Es ist toll zu sehen, wie sich die Kleinen entwickeln. Für uns ist es sehr oft nicht einfach, beiden Kindern die Zeit zu geben, die sie verdient haben.
Maja hat täglich neue Wunden. Es gab noch keinen Tag, wo sie keine neue Blase hatte. Ich habe schon so manches Mal gedacht, mit diesen kaputten Füßen würde ich keinen Schritt machen, aber sie tut es. Klar gibt es Tage, da geht gar nichts, dann kommt sie mit dem Rollstuhl zur Schule. Viele Klassenkameraden kennt Maja bereits aus dem Kindergarten und dadurch, dass wir sie bei allem mitmachen lassen und sie sich schon sehr gut einschätzen kann, hat sie viele Freunde gefunden, die auf sie Rücksicht nehmen. Hier, finde ich, hat Inklusion absolut Sinn und ist für alle, Lehrer sowie auch Schüler, eine Bereicherung.
„Kleine Zwischenfälle“ – ein Beispiel
Volker: Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie gehen in ein Krankenhaus und sehen in der mit 500 Leuten besetzten Mensa ein blutüberströmtes Kind zusammen mit den ebenfalls blutverschmierten Eltern genüsslich ein Eis essen. Das Mädchen hat an seiner Stirn eine Platzwunde. Da denkt doch jeder: Warum gehen die nicht erst zum Arzt? Ja, das hätten wir auch gemacht, aber wir kamen genau da her. Während eines jährlichen Kontrolltermins in Münster ist Maja bei der Besprechung von einem Stuhl gefallen und hat sich den Kopf an der Tischkante gestoßen. Da hätte sich sicherlich jedes Kind eine Beule geholt. Nur bei Maja sieht die Sache dann etwas anders aus. Ich versuchte, Maja zu trösten, aber die Mama ist dafür aus ihrer Sicht die bessere Wahl. Nun waren Mama und Papa schon mal voller Blut. Das Handtuch, das die Kinderkrankenschwester uns zum Stoppen der Blutung gegeben hatte, sorgte dafür, dass wir nicht dreckiger wurden, aber an die Wunde hat sie uns nicht rangelassen. Die weiteren Untersuchungen hat Maja dann verständlicherweise nicht mehr geduldet und daher wurde die Sitzung abgebrochen. Wir hatten Maja versprochen, wenn sie artig beim Verbandswechsel mitmacht, gibt es zur Belohnung ein Eis. Somit saßen wir anschließend mit unseren blutverschmierten T-Shirts in der Mensa und wurden von den Gästen verständnislos angestarrt.
Anke: An so einem Beispiel kann man sehen, wie schnell solche Wunden entstehen und wie wenig Einfluss man selbst darauf hat. Wir saßen neben ihr, konnten es aber nicht verhindern.
Volker: Sich mal hier und da zu stoßen, ist ganz normal, es passiert auch nichts Schlimmes außer vielleicht einer Beule oder einem Kratzer. Bei Schmetterlingskindern ist das leider anders. Achten Sie einmal darauf, wie oft Sie sich vielleicht auch unbewusst stoßen. Jeder Stoß oder jede Reibung kann bei Maja wieder eine neue Wunde verursachen.
Fazit
Anke: Wir sind sehr froh, dass Maja so ein lebenslustiges und aufgewecktes Mädchen ist, das auch immer wieder neue Sachen ausprobiert. Sie ist selbstbewusst und weiß, was sie will. Natürlich hat sie Zeiten mit vielen Schmerzen und kann zu einigen Zeiten nicht viel machen, weil die Füße oder die Finger sehr viele Wunden haben.
Aber im Großen und Ganzen hoffen wir, dass sie den Spaß nie verlieren wird. Sie möchte in vielen Sachen so normal sein wie alle anderen. Sie hat Freunde, mit denen sie spielen kann und die sich an sie gewöhnt haben. Es gibt nichts Schöneres, als zu sehen, wie sie miteinander umgehen und sich helfen.