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Adipös, seheingeschränkt, entwicklungsverzögert – Wie das Bardet-Biedl-Syndrom das Leben Betroffener zu einer besonderen Herausforderung macht 

FOTO: SHUTTERSTOCK_1798021732

Das Bardet-Biedl-Syndrom (kurz BBS) ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung, die das Leben Betroffener extrem beeinträchtigt. Besonders der Verlust der Sehfähigkeit, die zum Teil stark eingeschränkte Nierenfunktion, vielfältige Entwicklungsverzögerungen und das starke, genetisch bedingte Übergewicht sind extrem belastend und schränken den Alltag in vielen Bereichen ein. Hinzu kommt die Stigmatisierung von außen, denn die Symptome können sie zur Zielscheibe ihrer Mitmenschen machen. Wir sprachen mit Maximilian Kerber (BBS-Patient) und Andrea Kierek (Mutter von zwei betroffenen Kindern) über die extreme Last der Erkrankung und die große Hoffnung auf zielgerichtete Therapien.

Interviewpartner: Maximilian Kerber (Betroffener und Leiter des Arbeitskreises Bardet-Biedl-Syndrom der PRO RETINA e. V.) und Andrea Kierek (Mutter von zwei betroffenen Kindern)

Herr Kerber, sie sind betroffen vom Bardet-Biedl-Syndrom (BBS). Wie und wann hat sich die Erkrankung bei Ihnen bemerkbar gemacht?

Meine Mutter hat schon früh gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und ist mit mir von Arzt zu Arzt gelaufen. Ich war immer ein wenig tollpatschig, da meine Grob- und Feinmotorik nicht richtig funktioniert. Zudem hatte ich bei meiner Geburt einen sechsten Zeh, der operativ entfernt wurde. Im Grundschulalter kamen der Sehverlust und das starke Übergewicht hinzu. Meine Eltern haben daher immer auf genügend Bewegung und eine ausgewogene Ernährung geachtet, damit das Übergewicht nicht überhandnimmt.

Als ich sechs oder sieben war, hat erstmals ein Humangenetiker den Verdacht BBS geäußert. Damals, Anfang der 2000er, wurden meine Werte in die USA geschickt, wo dann auch die Diagnose gestellt wurde. Heute können bereits mehr als 20 verschiedene BBS-Gene ganz einfach erkannt werden. Da hat sich in den letzten Jahren vieles weiterentwickelt. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich in einer Kinderklinik betreut. Später kam dann noch eine Entwicklungsverzögerung hinzu, meine Pubertät musste daher hormonell eingeleitet werden.

Herr Kerber, wie sieht Ihr Alltag mit der Erkrankung aus und was sind die größten Herausforderungen?

Das Thema der ausreichenden Bewegung, in Kombination mit dem Sehverlust und meiner gestörten Motorik, ist nicht immer einfach zu bewältigen, da man zusätzlich eingeschränkt und gehemmt ist. Die Gewichtskontrolle ist daher ein wichtiges Thema. Auch die Frage, welches Schulsystem für mich das richtige ist, war nicht leicht zu lösen. Ich habe das normale Regelschulsystem durchlaufen und mein Schulalltag war in bestimmten Bereichen auf mich angepasst, wo es notwendig war: Ich wurde z. B. beim Sportunterricht nicht nach Leistung beurteilt, oder ich habe Aufgabenstellungen aufgrund meiner Seheinschränkung größer ausgedruckt bekommen. Aber das Unverständnis seitens meiner Mitschüler hat mich durchgehend in der weiterführenden Schule begleitet. Später habe ich trotz der Erkrankung studiert und bin in den Beruf eingestiegen, was für viele Betroffene nicht oder nur zum Teil möglich ist. Was mich ständig begleitet, sind die massiven Einschränkungen durch den Sehverlust. Hier wird einem tagtäglich bewusst, dass man zu einem gewissen Teil eingeschränkt ist. Auch begleiten mich oft die Gedanken, wie es mit meiner noch gesunden Niere weitergehen wird, da dies auch ein häufiges Symptom der Erkrankung ist und auch erst zu einem späteren Zeitpunkt auftreten kann. Wie stark die Erkrankung im Zusammenspiel der Symptome mich im Alltag einschränkt, ist mir aber tatsächlich erst in den letzten Jahren bewusst geworden. Für Außenstehende war z. B. nicht nachvollziehbar, dass ich aufgrund der Seheinschränkung gewisse Dinge nicht wahrnehme oder Menschen ungewollt anremple. Da stößt man auf Unverständnis und verärgerte Mitmenschen. Seit zwei Jahren habe ich einen Blindenstock, der auch als eine Art „Erkennungszeichen“ fungiert: Seitdem treffe ich auf viel größeres Verständnis und mehr Hilfsbereitschaft.

Frau Kierek, Sie sind Mutter von zwei betroffenen Kindern. Was macht eine solche Diagnose mit den Eltern?

Meine Kinder waren 11 und 14 bei der Diagnose, bis dahin hatten auch wir viele Ärzte und Kliniken gesehen. Zu erfahren, dass meine Kinder blind werden: Das war ein Schock. Da fragt man sich, wie die Kinder und man selbst das bewältigen soll. Auf der anderen Seite war es mit der Diagnose leichter, ihre Symptome zu erklären. Ich dachte schon immer, dass etwas Seltenes dahinterstecken könnte. Meine Tochter war wegen organischer Beschwerden, u.a. einer Nierentransplantation, oft im Krankenhaus. Dadurch war ihre Entwicklungsverzögerung leichter nachvollziehbar. Bei meinem Sohn war es schwieriger: Er hat autistische Züge und eine extreme Sprachbeeinträchtigung, das war komplizierter zu erklären. Und natürlich war auch das Übergewicht ein Problem, da es den Alltag sehr prägt und rund ums Essen viel Konfliktpotenzial bietet. In der Beziehung war die Diagnose schon eine gewisse Erleichterung, da wir nun wussten, was hinter den Beschwerden steckt, und etwas gelassener damit umgehen konnten.

Oftmals sind die direkten Angehörigen diejenigen, die sensibler für den Gesundheitszustand Betroffener sind. Ist das auch bei Ihnen der Fall, und wie gehen Sie damit um?

Kierek: Wir versuchen, unseren Kindern nicht all unsere Sorgen und Befürchtungen mitzuteilen, aber sprechen natürlich mit ihnen über die besonderen Herausforderungen, die sie haben. Wir versuchen, sie zu motivieren, dranzubleiben, auch wenn sie schon viele Dinge ausprobiert haben. Generell benötigen unsere Kinder aber sehr viel Betreuung und werden diese auch ihr Leben lang benötigen. Sie sind inzwischen 19 und 22 Jahre alt und werden nie so selbstständig sein wie Herr Kerber, der verheiratet ist, seiner Arbeit nachgeht und sein Leben selbstständig lebt. Von daher muss ich oft Entscheidungen für meine Kinder treffen.

Hatten Ihre Kinder auch mit Unverständnis im Umfeld zu kämpfen?

Mein Sohn ist generell eher zurückhaltend und hat sich mit seiner besonderen Rolle irgendwie arrangiert, er würde solche Punkte nie von sich aus ansprechen. Meine Tochter ist sehr kontaktfreudig und hatte stärker damit zu kämpfen, in der Schule wurde sie oft sehr gemobbt. Sie hat zwar immer irgendwie ihren Weg gefunden und auch viele einfühlsame und verständnisvolle Menschen getroffen. Aber da kommt man als Mutter schon an seine Grenzen, wenn die eigenen Kinder derartigen psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Man versucht dann, die positiven Erlebnisse zu verstärken und das abzufedern.

Sie sind beide aktiv im Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom in der PRO RETINA. Welche Rolle spielt für Sie beide die Vernetzung mit anderen Betroffenen, und was wünschen Sie sich hinsichtlich der Versorgung von Betroffenen?

Kierek: Für mich war das erste BBS-Patientenseminar der PRO RETINA ein beeindruckendes Erlebnis. Bei der PRO RETINA hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Die wissen, wovon ich spreche und wie es uns geht. Jetzt, wo ich aktiv im Arbeitskreis tätig bin, ist es toll zu sehen, was an Forschung geschieht, wie gefragt die Patientinnen und Patienten diesbezüglich sind und was im Miteinander erreichbar ist.

Kerber: Wir haben mit unserer Patientengruppe eine ganz tolle Gemeinschaft von Betroffenen, ihren Angehörigen und Forschern, die uns sehr unterstützen. Man ist nicht mehr allein und kann zudem die Forschung aktiv mitgestalten, wie zum Beispiel auch bei der ersten Therapie gegen die genetisch bedingte Adipositas in Zusammenhang mit dem BBS.

Da waren wir von Anfang an eng eingebunden, damit das patientennah geschieht und wir unsere Eindrücke und Aspekte mit einbringen können. Deswegen ist die Finanzierung der Forschungsprojekte für mich ein ganz wichtiger Punkt. Es ist vieles auf den richtigen Weg gebracht, aber ich wünsche mir, dass es einfacher wird, Fördermittel zur Erforschung und Behandlung Seltener Erkrankungen zu bekommen.

Der größte Wunsch von ganz vielen Betroffenen ist aber sicher die Entwicklung von Therapien. Die neue Therapie gegen die Adipositas ist für uns ein erster Schritt in die richtige Richtung zur Behandlung des Bardet-Biedl-Syndroms. Wenn es dann noch gelingt, eine Therapie gegen den fortschreitenden Sehverlust zu entwickeln, wäre das ein riesiger Erfolg für die Betroffenen!

Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) der PRO RETINA

Im Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) haben sich Betroffene mit dieser Erkrankung und deren Angehörige zusammengeschlossen. Vielleicht haben Sie Fragen oder möchten gern Ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen austauschen. Der Erfahrungsaustausch in der PRO RETINA kann Eltern und Betroffenen helfen, diese Erkrankung anzunehmen, zu akzeptieren und zu meistern.

Für weitere Informationen zum Bardet-Biedl-Syndrom melden Sie sich per E-Mail unter:
[email protected]

Der Rare Diseases Run 2023: RUN FOR RARE!

Der Rare Diseases Run ist ein virtueller inklusiver Charity-Lauf, an dem jeder teilnehmen kann! Ein großer Teil der Teilnahmegebühr geht automatisch an verschiedene Organisationen, die sich mit seltenen Erkrankungen befassen, darunter auch die Bardet-Biedl-Patientengruppe.

Weitere Informationen zum Wettbewerb sowie Tickets finden Sie unter:
www.laufenmachtgluecklich.de

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