Schätzungsweise 120.000 Menschen in Deutschland leiden an Clusterkopfschmerz: eine Erkrankung, die unerträgliche Schmerzen verursacht. Im englischsprachigen Raum spricht man auch von „Suicide Headache“: Das macht deutlich, wie stark Betroffene leiden und welche Auswirkungen es haben kann, wenn die Erkrankung nicht richtig diagnostiziert und behandelt wird. Mittlerweile gibt es wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die deutlich zur Verbesserung der Lebensqualität Betroffener beitragen können. Trotzdem bleibt die aktuelle Versorgungslage Betroffener unbefriedigend. Ein Gespräch mit Dr. Ursula Marschall, Leiterin des Forschungsbereichs Medizin und Versorgungsforschung am Institut für Gesundheitssystemforschung der BARMER.

Dr. med. Ursula Marschall Dipl. oec.
Fachärztin für Anästhesie/Intensiv-Rettungs-Schmerztherapie, Forschungsbereichsleitung Medizin/ Versorgungsforschung am Institut für Gesundheitssystemforschung der BARMER
Foto: BARMER
Die Herausforderung ist, den Clusterkopfschmerz mit seinen typischen Symptomen bekannter zu machen: Das ist der einzige Weg, um Diagnosen zu beschleunigen und ihn von anderen Kopfschmerzarten abzugrenzen.
Frau Dr. Marschall, was sind die Herausforderungen bei der Diagnose des Clusterkopfschmerzes?
Ich bezeichne den Clusterkopfschmerz gern als den vergessenen Kopfschmerz. In 2023 wurden in Deutschland 75.000 gesetzlich Versicherte dahingehend behandelt, am häufigsten tritt er auf im Alter ab 50 bis etwa 60. In seiner Reinform verläuft er komplett anders als z. B. eine Migräne. Das Besondere ist, dass ganz plötzlich ein einseitiger, rasender Kopfschmerz auftritt, der sich zusammen mit einem roten Auge und einer laufenden Nase zeigt. Da Betroffene aber zusätzlich oft auch an anderen Kopfschmerzarten wie Migräne oder Spannungskopfschmerz leiden, ist die Diagnose oft nicht leicht zu stellen. Zudem bringen sie die laufende Nase und das rote Auge nicht sofort mit den Kopfschmerzattacken in Verbindung, weil sie den Clusterkopfschmerz in seiner typischen Ausprägung nicht kennen. Die Herausforderung ist also, den Clusterkopfschmerz mit seinen typischen Symptomen bekannter zu machen: Das ist der einzige Weg, um Diagnosen zu beschleunigen und ihn von anderen Kopfschmerzarten abzugrenzen.
Ist die Diagnose Clusterkopfschmerz gestellt, sind Betroffene auf eine entsprechende Versorgung angewiesen. Wie sieht die Versorgungslandschaft in Deutschland momentan aus und welche Rolle spielen hier spezialisierte Zentren?
Der reine Clusterkopfschmerz ohne Begleiterkrankungen oder weitere Kopfschmerzerkrankungen kann hausärztlich und ambulant betreut werden. Die Betreuung in spezialisierten Zentren wird erst dann notwendig, wenn Migräne- oder Spannungskopfschmerzattacken oder psychische Beschwerden wie Depressionen oder Angststörungen hinzukommen: d. h., wenn die konventionelle Behandlung des Clusterkopfschmerzes allein nicht ausreicht.
Glücklicherweise gibt es mittlerweile bewährte Therapieansätze, die die Lebensqualität Betroffener verbessern können. Was sieht die aktuelle Behandlungsleitlinie vor?
Hier muss man unterscheiden zwischen Akuttherapie und Prophylaxe. In der Akuttherapie ist der erste Schritt die Gabe von Sauerstoff. Bei den meisten Betroffenen wirkt er innerhalb von Minuten und die Schmerzen klingen ab.
Auch Cortison kann verabreicht werden, sollte aber nicht länger als vier Wochen eingesetzt werden. Zudem haben wir die Wirkstoffe Sumatriptan und Zolmitriptan, die im Akutfall unter die Haut gespritzt oder per Nasenspray verabreicht werden, was der Patient beides selbst machen kann. Ganz wichtig zu sagen ist, dass Triptantabletten bei den wenigsten Patienten sinnvoll sind. Zudem kann vorbeugend eine Prophylaxetherapie mit Verapamil oder Lithium angewandt werden.
Wir haben also wirksame Medikamente, die den Clusterkopfschmerz theoretisch gut behandelbar machen. Leider sieht die Versorgungsrealität aber oft noch anders aus und es könnte durchaus stärker gemäß Leitlinie behandelt werden.
Aktuelle Daten zeigen auch, dass leider immer noch viele Clusterkopfschmerz-Betroffene unterversorgt sind, obwohl es gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Das betrifft vor allem Frauen mit Clusterkopfschmerz. Woran liegt das?
Leider hält sich nach wie vor das Bild vom Clusterkopfschmerz als einer Erkrankung, die überwiegend Männer betrifft. Das stimmt aber so nicht mehr, denn die Frauen holen auf. Leider wird bei betroffenen Frauen häufig zunächst eine Migräne diagnostiziert und behandelt, natürlich ohne Besserung der Symptome, da die falschen Medikamente für die falsche Erkrankung verabreicht werden. Und hier sind wir wieder bei der so dringend nötigen Aufklärung rund um das Krankheitsbild, sowohl unter Patienten und Patientinnen als auch bei Ärzten. Nur wenn man die Symptome des Clusterkopfschmerzes kennt und sie z. B. von denen der Migräne abgrenzen kann, werden Betroffene auch richtig diagnostiziert und versorgt werden können.
Welche konkreten Lösungsansätze sehen Sie, um dieser Herausforderung Herr zu werden, damit sich die Versorgungssituation Betroffener in Zukunft zum Positiven verändert?
Wir erhoffen uns, dass mit der diesjährigen Veröffentlichung der aktualisierten Behandlungsleitlinie noch einmal Schwung in die Thematik kommt und immer mehr Betroffene auch entsprechend behandelt werden. Hier spielen sowohl die medizinischen Fachgesellschaften als auch die Selbsthilfevereine eine wichtige Rolle, um öffentlichkeitswirksam zu diesem Thema zu informieren. Zudem ist das Thema Vernetzung sehr wichtig, z. B. zwischen Hausärzten, Neurologen und Schmerztherapeuten. Wie erwähnt kann der Großteil der Betroffenen ambulant versorgt werden. Erst wenn die Medikation nach Leitlinie durchgeführt wurde und trotzdem noch massive Attacken auftreten, braucht es entsprechende Versorgungsstrukturen und die Vernetzung mit spezialisierten Zentren. Die Quintessenz ist: Der richtige Patient braucht die richtige Behandlung in der richtigen Versorgungsstruktur.
Bundesverband der ClusterkopfschmerzSelbsthilfe-Gruppen (CSG) e. V.
Auf der Website www.clusterkopf.de finden Sie umfangreiche Informationen zu diesem Krankheitsbild. Dort finden Sie z. B. auch eine Übersicht über alle medizinischen Kompetenz-Zentren.