Skip to main content
Home » Krankheitsbilder » Tenosynoviale Riesenzelltumoren (TGCT): „TGCT können fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben.“
Krankheitsbilder

Tenosynoviale Riesenzelltumoren (TGCT): „TGCT können fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben.“

Foto: Frank Preuss

Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei TGCT nicht um bösartige Tumoren handelt. Somit sind TGCT nicht lebensgefährdend. Sie können aber fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben.

Prof. Dr. med. Sebastian Bauer
Leiter des Sarkomzentrums am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsklinik Essen und Vorstandsmitglied der Deutschen Sarkom-Stiftung

Hört man das Wort Tumor, denkt man sofort an Krebserkrankungen. Es gibt aber auch eine ganze Reihe gutartiger Tumore, die nicht lebensbedrohlich sind. Zu diesen zählen auch die sogenannten Tenosynovialen Riesenzelltumoren (kurz TGCT). Doch auch, wenn es sich hier um gutartige Tumore handelt, können sie die Lebensqualität Betroffener erheblich beeinträchtigen. Wir sprachen mit Prof. Sebastian Bauer vom Sarkomzentrum Essen über die Symptome, die Wichtigkeit der frühen Diagnose und die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten, um die Lebensqualität Betroffener positiv beeinflussen zu können.

Herr Prof. Bauer, Sie behandeln u. a. Patienten mit TGCT. Können Sie uns mehr darüber erzählen, was bei TGCT-Betroffenen im Körper passiert, wo diese Tumoren auftreten und welche Symptome sie auslösen können?

Früher waren diese Erkrankungen unter der Bezeichnung Pigmentierte Villonoduläre Synovitis (PVNS) bekannt. Dahinter steckt eine durch einen Tumor ausgelöste Entzündung der Gelenkhaut (lat.: Synovia), die medizinisch als Synovialitis bezeichnet wird. Schaut man sich die Gelenkhaut an, kann man die entzündlichen Veränderungen deutlich in Form von farblichen Veränderungen sehen. Sie sind also pigmentiert, daher der historische Name der Erkrankung. Lange dachte man, dass es sich um eine Erkrankung handelt, die eher mit Rheuma vergleichbar ist, also einer Entzündung, die durch das Immunsystem getriggert wird. Stattdessen ist es eine klonale Erkrankung, für die es eine definierte genetische Ursache gibt. In diesem Fall ist das eine nicht erblich bedingte Gen-Umlagerung, die dazu führt, dass ein Lokal-Hormon („Zytokin“) vermehrt ausgeschüttet wird, das wiederum zu einer Wucherung Gewebe-ständiger Zellen im Bereich der Gelenkhaut führt. Interessanterweise besteht diese Wucherung überwiegend gerade nicht aus Tumorzellen. Das macht PVNS aber nicht weniger belastend für die Patienten.

Die Erkrankung betrifft beim Großteil der Betroffenen die großen Gelenke der unteren Extremitäten, also die Knie-, Hüft- oder manchmal die Fußgelenke. Seltener betrifft sie die Schulter- oder Fingergelenke. Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei TGCT nicht um bösartige Tumoren handelt. Somit sind TGCT nicht lebensgefährdend. Sie können aber fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben, denn durch die übermäßigen Wucherungen in der Gelenkhaut können Gelenke komplett zerstört werden. Stellt man sich vor, dass jemand z. B. im Servicebereich arbeitet und den ganzen Tag auf den Beinen ist, kann ein TGCT am Knie oder an der Schulter eine Arbeitsunfähigkeit bedeuten. Tanzt jemand in seiner Freizeit leidenschaftlich gern, ist auch das bei einer Zerstörung des Gelenkes nicht mehr möglich.

Wir unterscheiden bei TGCT zwei Formen: Die erste Form ist klein und knotig und wird auch als lokalisierte Form bezeichnet. Es ist also eine deutliche Abgrenzung zum umliegenden, gesunden Gewebe möglich. Diese Form ist in den meisten Fällen durch eine OP behandelbar. Schwieriger wird es bei der zweiten Form, den sogenannten diffusen TGCT. Diese verteilen sich im Gelenk, meist nicht gut abgegrenzt und daher auch operativ schwer behandelbar. Zudem besteht hier ein hohes Risiko, dass die Erkrankung erneut auftritt (sog. Rezidiv).

Wo liegen die Herausforderungen, wenn es um die Diagnose geht und wie kann ein TGCT zweifelsfrei festgestellt werden?

Die meisten Ärzte und Orthopäden kennen den Begriff TGCT nicht, mit dem Begriff PVNS sind sie schon eher vertraut. Zudem verursacht die Erkrankung Symptome, die sehr häufig auch bei anderen Erkrankungen auftreten.

Auch ein klassischer Gelenkverschleiß kann zu reaktiven Veränderungen in der Gelenkhaut führen, sodass es für Orthopäden sehr schwierig ist, die Ausprägung der Erkrankung von anderen Krankheitsbildern abzugrenzen. Das ist die klassische Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Erfahrene Radiologen können die Erkrankung durchaus erkennen, indem sie die typische Ausprägung auf den medizinischen Aufnahmen erkennen. Der ultimative Beweis kann durch eine Gewebeprobe erbracht werden, je nach betroffenem Gelenk mittels Gelenkspiegelung oder direkter Biopsie erreichbar. Wir gehen daher von einer hohen Dunkelziffer aus.

Wichtig ist festzuhalten, dass die Erkrankung häufig jüngere Menschen betrifft, die in vielen Fällen keine medizinische Vorgeschichte haben. Die Veränderungen sind also in der Regel nicht auf Leistungssport zurückzuführen, die Patienten hatten keine Gelenktraumata oder vorherige Verletzungen am betroffenen Gelenk.

Für jüngere Menschen, die ohne medizinische Vorgeschichte solche Beschwerden haben und bereits eine Synovialitis diagnostiziert bekommen haben, ist eine Nachfrage beim Arzt, ob es sich auch um TGCT handeln könnte, also durchaus sinnvoll.

Warum ist eine möglichst frühe Diagnose so wichtig?

Es gibt ganz unterschiedliche Verläufe von TGCT. Manche wachsen schnell, andere über einen langen Zeitraum sehr langsam, oder auch spontan nicht mehr. Auch hier ist wieder die Unterscheidung zwischen der lokalisierten und der diffusen Form wichtig. Denn die lokale Form greift nicht auf umliegendes Gewebe wie z. B. Knorpel über.

Bei der diffusen Form kann es potenziell dazu kommen, dass der Tumor das Gelenk zerstört. Wenn das der Fall ist und der Tumor z. B. auch den Knorpel infiltriert, ist eine schnelle Diagnose absolut entscheidend. Denn Knorpel, der einmal zerstört ist, kann auch nicht wieder repariert werden. Ganz platt gesagt: Was kaputt ist, ist kaputt und kann auch unter einer späteren Therapie nicht wieder hergestellt werden. Im schlimmsten Fall muss ein Gelenk ersetzt werden, z. B. durch eine metallische Gelenkprothese.

Wie sehen die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten aus, um Betroffenen wieder zu mehr Lebensqualität zu verhelfen?

Als man noch glaubte, dass es sich um eine entzündliche Erkrankung handelt, wurde auch entsprechend behandelt: z. B. spritzte man eine Art Strahlentherapie in das Gelenk ein, wenn große Gelenke betroffen waren. Für TGCT ist die Wirkung dieser Art der Therapie nicht sicher belegt. Auch eine Strahlentherapie, wie sie z. B. bei bösartigen Tumoren angewandt wird, sollte nach Meinung von Experten nicht eingesetzt werden. Über beide Verfahren wurde erst kürzlich in der ersten, internationalen Konsensuskonferenz viel diskutiert – und es bestand Einigkeit, dass die Evidenzlage zu schwach ist, diese Therapien zu empfehlen.

Jetzt, wo wir wissen, was bei der Erkrankung passiert und welche Mechanismen ihr zugrunde liegen, können wir auch entsprechend therapieren. Die lokale Form kann operativ behandelt werden: Die klar abgrenzbare Wucherung wird dabei entfernt, der Patient ist im Regelfall danach beschwerdefrei. Da bei der diffusen Form die Veränderungen an der Gelenkinnenhaut an mehreren Stellen auftreten können, sind auch die Übergänge zwischen betroffenen und nicht betroffenen Arealen schwer abgrenzbar. Bei dieser Form ist es also sehr schwer vorhersagbar, ob man bei einer OP auch alle betroffenen Stellen entfernen kann oder ob sogar schon andere Gewebearten wie der Knorpel betroffen sind. Das heißt nicht, dass bei der diffusen Form nicht operiert wird – eine Heilung kann auch hier durch eine alleinige Operation möglich sein. In den letzten Jahren sind auch Medikamente zum Einsatz gekommen, die bei Patienten geprüft wurden, bei denen eine (radikale) OP zu starken OP-Langzeitfolgen führen würde.

Bei Rückfällen muss man zunächst schauen, wann und wo die Erkrankung wieder auftritt. Ist die Stelle klein und wächst langsam, kann auch eine erneute OP sinnvoll sein. Aber gerade bei einer Rezidiv-Operation ist es wichtig, dass die Operateure dem Patienten klarmachen, was die Risiken einer erneuten OP sein können. Denn eine OP zieht immer Narben nach sich, die die Beweglichkeit ebenfalls einschränken können oder zu chronischen Beschwerden führen. Das ist eine enorme Herausforderung für die Behandlungsteams. Man muss also genau abwägen, was sinnvoll ist.

Es gibt mittlerweile tablettenbasierte Medikamente, die wir einsetzen können. Diese spielen besonders bei der diffusen Form und bei Widerauftreten der Erkrankung eine entscheidende Rolle. Die vielversprechendsten davon sind in Deutschland noch nicht zugelassen und befinden sich noch in der klinischen ErprobungsPhase. Diese adressieren zielgerichtet den Krankheitsmechanismus des Tumors, haben eine hohe Ansprechwahrscheinlichkeit und bewirken eine deutliche Symptomverbesserung. Denn die Gewebsrezeptoren, die durch die Überproduktion des Hormons überaktiviert werden und zur übermäßigen Zellbildung führen, können durch diese Medikamente blockiert werden. Unter dieser Therapie gibt es eine hohe Chance, dass die Tumoren sich zurückbilden. Diese Medikamente müssen dann allerdings so wie bei anderen chronischen Erkrankungen dauerhaft eingesetzt werden. Es kann zwar Phasen der Remission geben, in denen man die Medikamente absetzen kann. Tritt ein erneutes Tumorwachstum auf, setzt man die medikamentöse Therapie fort. Es ist meine große Hoffnung für die Patientencommunity, dass wir diese Behandlungsalternativen bald auch in Deutschland einsetzen können. Dann wäre auch denkbar, die Medikamente im ersten Schritt zur Verkleinerung des Tumorgewebes zu nutzen und im zweiten Schritt dann erst operativ tätig zu werden. Diese Konzepte sollten allerdings im Kontext von weiteren Studien erfolgen.

Das therapeutische Gebot lautet aktuell: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Das betrifft sowohl die Operationen als auch die Medikamentengabe.

Wo finden Betroffene Spezialisten, die auf die Behandlung von TGCT spezialisiert sind?

Man sollte sich auf jeden Fall überlegen, ob die Behandlung in einem spezialisierten Zentrum sinnvoll ist, um sowohl eine Über- als auch eine Untertherapie zu vermeiden. Sicher kann insbesondere die lokale Form auch von versierten Orthopäden behandelt werden. Bei Patienten, die an der diffusen Form leiden, sollten meiner Meinung nach Experten die Behandlung übernehmen, da sie auch über etwaige medikamentöse Therapieoptionen entscheiden können und besonders auch beim Wiederauftreten der Erkrankung die nötige Erfahrung mitbringen, um die individuell richtige Behandlung für jeden Patienten in die Wege zu leiten.

Eine der wichtigsten Plattformen, auf der sich Patienten unabhängig informieren können, ist die Homepage der Deutschen Sarkom-Stiftung. Dort findet man eine Liste von Spezialisten, die sich mit der Erkrankung gut auskennen. So können Patienten eine Anlaufstelle finden, die möglichst wohnortnah liegt. Zudem können sie sich informieren, an welchen Zentren es klinische Studien zur Erkrankung gab oder gibt. Zudem gibt es auch eine Zertifizierung für Sarkomzentren in Deutschland: Ein weiterer Anhaltspunkt, an dem man sich orientieren kann.

Weitere Informationen zur Arbeit der Deutschen Sarkom-Stiftung finden Sie unter:

Next article