Skip to main content
Home » Gene » Digitale Medizin: Neue Wege in der Versorgung seltener Erkrankungen
Gene

Digitale Medizin: Neue Wege in der Versorgung seltener Erkrankungen

Foto: shutterstock_2135203189

Die Digitalisierung ist ein fester Bestandteil unseres Alltags geworden. Sogar in Bereichen der Medizin, die traditionell auf Papierakten setzen, werden zunehmend digitale Technologien genutzt, um medizinische Versorgung flexibler, sowie orts-, und zeitunabhängiger zu gestalten. Unter Digitaler Medizin versteht man dabei den Einsatz evidenzbasierter digitaler Technologien in Kernbereichen wie Diagnostik, Monitoring und Therapie, ergänzt durch digitale Unterstützung weiterer medizinischer Prozesse.

Die Deutsche Gesellschaft für Digitale Medizin e.V. ist zuversichtlich, dass digitale Medizintechnologien zukünftig zunehmend zur Verbesserung der Versorgung beitragen werden.

Dr. med. Konstanze Betz

Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Digitale Medizin e.V.

Dr. med. Lars Masanneck

Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Digitale Medizin e.V.

Durch regelmäßige Überprüfung der Daten und kontinuierlichen Austausch werden Patient:innen engmaschig überwacht, ohne den Weg in das Zentrum häufiger auf sich zu nehmen.

Fotos: Privat

Digitale Medizin als Hilfsmittel, seltene Erkrankungen zu diagnostizieren

Seltene Erkrankungen sind definiert als Zustände, von denen weniger als 5 von 10.000 Menschen betroffen sind. Die erste Hürde im oft langjährigen Krankheitsprozess ist für Betroffene häufig die fehlende initiale Diagnose. Eine verzögerte Diagnose führt nicht nur zu einer verspäteten Therapie der Grunderkrankung, sondern kann auch das Risiko für psychische/psychosomatische Begleiterkrankungen erhöhen (Sellin et al, 2024; Stieber et al 2017). Die oftmals langjährige Odyssee von Patient:innen mit zahlreichen Arztbesuchen und (häufig unnötigen) diagnostischen Maßnahmen bis hin zur korrekten Diagnose belastet zudem das bereits angespannte Gesundheitssystem (Sellin et al, 2024). Digitale Medizin – und insbesondere diagnostische Entscheidungshilfesysteme („diagnostik decision support systems“ siehe: Sellin et al. 2024) – die oft auf künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen basieren – kann die Diagnosefindung erleichtern. Einige dieser Systeme sind oftmals einfach anzuwenden und nutzen bereits vorhandene Ressourcen z.B. aus Fragebögen oder Basismonitoring. Beispiele hierfür sind Anwendungen für eine Diagnoseermittlung durch Symptomerfassung (z.B. FindZebra) sowie Anwendungen zur phänotypischen Erkennung seltener genetischer Erkankungen (z.B. DeepGestalt, GestaltMatcher). Weiterhin werden Methoden des maschinellen Lernens auch zunehmend eingesetzt, um die genetischen Ursachen solcher seltenen Erkrankungen zu identifizieren (Bsp. STIGMA, Balachandran et al.).

Digitalmedizinische Ansätze für eine bessere Patientenversorgung

Nach der Diagnosefindung besteht die nächste Herausforderung darin, die Betroffenen an ein spezialisiertes Zentrum anzubinden, wobei dies für Patient:innen bedeuten kann, erhebliche Entfernungen in Kauf zu nehmen. In Deutschland besteht ein Netzwerk aus Zentren für seltene Erkrankungen (https://www.se-atlas.de/), die eine optimale Versorgung von Patient:innen durch die dort bestehende Expertise ermöglichen. Allerdings können große Entfernungen und lange Wartezeiten für Patient:innen und Angehörige belastend sein. Um eine evidenzbasierte, hochqualitative und engmaschige Behandlung auch über die zentrumsnahen Ballungsräume hinweg zu ermöglichen, werden derzeit diverse digitalmedizinische Ansätze entwickelt:

Das wachsende Potenzial digitaler Monitoring-Systeme zeigt sich insbesondere darin, den Gesundheitszustand von Patienten mittels mobiler Applikationen, gegebenenfalls ergänzt durch Sensortechnik, Fragebögen und weiteren Messmethoden, zu überwachen. Solche Lösungen sind dabei häufig an koordinierende Zentren angebunden, die auch die Möglichkeit eines direkten und dokumentierten Nachrichtenkontaktes über die App ermöglichen. Durch regelmäßige Überprüfung der Daten und kontinuierlichen Austausch werden Patient:innen dabei engmaschig überwacht, ohne den Weg in das Zentrum häufiger auf sich zu nehmen. Auch Haus-, oder Fachärzt:innen vor Ort können in den Datenaustausch eingebunden werden, was die Behandlungsqualität verbessern kann. Aktuell sind diese Bestrebungen aufgrund bisher fehlender fester Finanzierungsstrukturen hauptsächlich im Forschungsumfeld und durch Förderanträge realisierbar. International nutzen bereits einige Patientenregister, wie in der Neurologie (Masanneck et al., 2023), digitale Gesundheitstechnologien, um aus dem Alltag der Patient:innen umfangreiche Forschungsdaten zu sammeln. Da es bei seltenen Erkrankungen oft schwierig ist, genügend Teilnehmende für klinische Studien zu gewinnen, bieten dezentralisierte klinische Studien, die vorrangig digital oder zumindest digital-unterstützt durchgeführt werden, die Möglichkeit, Teilnehmende auch außerhalb großer Ballungsräume und spezialisierter Zentren zu rekrutieren.

Digitale Gesundheitsanwendungen: Vorbeugen, lindern, heilen

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Digitalen Medizin sind digitale Therapeutika. Diese sollen durch digitale Interventionen oder Bildungsprogramme Krankheiten vorbeugen, lindern oder heilen. In Deutschland werden diese als digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) realisiert, die nach einem beschleunigten Zulassungsverfahren vom BfArM gelistet und anschließend allen gesetzlich Versicherten verschrieben werden können. Solche „Apps auf Rezept“ wären prinzipiell für seltene Erkrankungen aufgrund des oft schweren Zugangs zu Spezialist:innen zur Unterstützung besonders gut geeignet, sind aber im aktuellen Rahmen für seltene Erkrankungen kaum wirtschaftlich zu entwickeln.

Wie Patientendaten die Forschung und den klinischen Alltag erleichtern können

Weiterhin bleibt festzustellen, dass bei rund 74 Millionen gesetzlich Versicherten auch zu seltenen Erkrankungen durch die Solidargemeinschaft in Deutschland zum Teil große Mengen an Versorgungsund Gesundheitsdaten erzeugt werden. Während die digitale Infrastruktur in Deutschland deutlich (z.B. elektronischen Patientenakte) wächst, schaffen neue gesetzgeberische Grundlagen wie das im Dezember 2023 verabschiedete Gesundheitsdatennutzungsgesetz die Basis, um diese Daten zur Forschung und somit Verbesserung des status quo in geeigneten Fällen nutzen zu können. Dabei sind Themen wie verbesserte Interoperabilität und automatische Datenverarbeitung besonders wichtig. Diese Grundlage ermöglicht eine schnellere Integration der erhobenen Daten – nicht nur in der Forschung, sondern auch in den klinischen Alltag. Neben bestehenden übergreifenden Netzwerken der Zentren für seltene Erkrankungen ist auch die Schaffung integrierter medizinischer Behandlungspfade ein wichtiger Schritt. Notwendig sind auch weitere unabhängige Evaluationsstudien der vorhandenen Anwendungen, insbesondere bei kommerziellen Angeboten.

Die Deutsche Gesellschaft für Digitale Medizin e.V. ist zuversichtlich, dass digitale Medizintechnologien zukünftig zunehmend zur Verbesserung der Versorgung, insbesondere von Patienten mit seltenen Erkrankungen, beitragen werden.

Weitere Informationen finden Sie unter:

Next article