Stellen Sie sich vor, Sie sind drei oder vier Jahre alt. Bald geht es in den Kindergarten. Für viele Kinder ist es der erste kleine Schritt zur Abnabelung von den Eltern – die ersten Freundschaften, Ausflüge, ein Stückchen Selbstständigkeit. In dieser Zeit alle vier oder fünf Wochen krank zu sein, auszufallen, vieles zu verpassen – das schmerzt. Jetzt stellen Sie sich vor, dass sich daran auch fast 40 Jahre später nichts geändert hat und in dieser Zeit niemand herausfand, was Ihnen eigentlich fehlt. Unwahrscheinlich? Tanja E. hat es erlebt.
Wie äußerte sich das HAE bei Ihnen?
Die ersten Symptome von HAE hatte ich, als ich drei Jahre alt war. Ich litt ständig unter Bauchschmerzen, in Abständen von vier bis sechs Wochen. Vor allem nach Erkältungen und Stresssituationen. Nicht selten hatte ich dabei zwei bis drei Tage lang mit Erbrechen zu kämpfen. Deshalb habe ich im Kindergarten und später in der Schule oft gefehlt. Die Ärzte konnten einfach nicht feststellen, warum diese Schmerzen ständig wiederkehrten.
Welche Folgen hatte die fehlende Diagnose?
Die lange fehlende Diagnose hatte zur Folge, dass ich öfter eine Bauchspiegelung machen musste und es wurden sehr viele Bauchoperationen durchgeführt – unter anderem wegen Verdacht auf Bauchwandbruch, Leistenbruch, Pankreaskrebs.
Durch die OPs bildeten sich Verwachsungen in meinem Körper, die ebenfalls operiert werden mussten. Mein Bauch sieht wegen der vielen Narben heute aus wie eine Landkarte. Irgendwann wurde mir eine psychosomatische Therapie verordnet, auch diese hat leider nichts gebracht.
Inwiefern hat die Krankheit Ihren Alltag beeinträchtigt?
Die Krankheit hat meinen Alltag sehr beeinträchtigt. Durch die Schmerzen war ich sehr eingeschränkt, ich konnte meinen Berufswunsch nicht realisieren. Gerne wäre ich Hebamme oder Ärztin geworden, doch die Schmerzen kamen plötzlich und hätten den Arbeitsablauf und die Gesundheit anderer somit gefährdet. Auch meine Ehe ist gescheitert.
Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Verkäuferin absolviert. Viele meiner Urlaubstage sind für meine Krankheit draufgegangen. Vor zehn Jahren habe ich mich zur Pharmareferentin ausbilden lassen. Um Prüfungen zu schaffen, habe ich mir zur Vorbeugung in Prüfungsphasen krampflösende Mittel gespritzt.
Mit 41 Jahren erhielten Sie die Diagnose. Wie hat sich Ihr Alltag seither verändert?
Endlich, mit 41 Jahren, erhielt ich die Diagnose. Nach Zahnarztterminen hatte ich immer wieder Schwellungen im Ge-sicht und im Kehlkopf. 2013 passierte es erneut und ich wurde mit antiallergischen Medikamenten behandelt. Nachdem diese einfach keine Wirkung zeigten, meinte eine junge Ärztin in der Notaufnahme, sie habe in ihrer Ausbildung schon mal etwas vom hereditären Angioödem gehört.
Ein Bluttest hat dann die Diagnose bestätigt. Ich habe HAE. Endlich hatte ich nach fast 40 Jahren Gewissheit. Seit der Diagnosestellung bin ich in Behandlung in einem HAE-Zentrum. Ich kann endlich Sport machen, in den Urlaub fahren oder meinen Hobbys nachgehen. Endlich habe ich angefangen zu leben und es auch zu genießen.
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