Das Cushing-Syndrom gehört zu den seltenen endokrinologischen Erkrankungen und wird im Schnitt erst drei Jahre nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert. Das Warten auf die richtige Diagnose, verbunden mit den durch die Erkrankung ausgelösten Beschwerden, kann eine große Belastung für Betroffene sein. Wir sprachen mit Dr. med. Leah Braun, die unter anderem Cushing-Patient*innen behandelt.
Dr. med. Leah Braun
Assistenzärztin der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV am Universitätsklinikum München
Frau Dr. Braun, was sind die Schwierigkeiten bei der Diagnosefindung und wo liegen die Verwechslungsgefahren mit anderen Erkrankungen?
Es gibt verschiedene Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung. Einerseits ist die Erkrankung so ungewöhnlich, dass selten an ihr Vorliegen gedacht wird. Im Schnitt werden in Deutschland nur ungefähr 100 Patienten pro Jahr neu diagnostiziert. Zudem beginnt die Erkrankung oft schleichend mit wenigen Symptomen und das typische klinische Vollbild der Erkrankung entwickelt sich häufig erst sehr spät im Krankheitsverlauf. Sehr viele Symptome überschneiden sich mit anderen Erkrankungen wie dem metabolischen Syndrom, einer Depression oder einem polyzystischen Ovar-Syndrom. Dadurch kommt es leicht zu Fehldiagnosen oder verspäteten Diagnosen. Auch die Labordiagnostik ist herausfordernd, da die Erkrankung durch erhöhte Cortisolwerte definiert ist. Nun gibt es aber auch viele andere Erkrankungen oder Situationen, die zu hohen Cortisolwerten führen können. Daher sollten Patienten zur Abklärung hoher Cortisolwerte in ein hierauf spezialisiertes Zentrum gehen.
Welche Symptome belasten Betroffene bis zur Diagnose und dem Start der Therapie am meisten?
Dies kann ganz unterschiedlich sein. Belastend sind natürlich einerseits die vielen körperlichen Stigmata, die mit der Erkrankung einhergehen können. Dazu zählen beispielsweise eine Gewichtszunahme im Bereich des Bauches, Akne, verstärktes Haarwachstum an ungewöhnlichen Stellen – der sogenannte Hirsutismus –, Hämatome, eine Rötung des Gesichts, was als Plethora bezeichnet wird, und die klassischen lividen Striae, welche an Bauch und Beinen auftreten. Daneben entwickeln viele Patienten aber auch eine Myopathie, also eine Muskelschwäche, die Betroffene im Alltag einschränkt, oder eine Osteoporose, die zu schmerzhaften Wirbelkörperfrakturen führen kann. Die allermeisten Patienten leiden zudem unter Depressionen und Schlafstörungen, aber auch Angststörungen und eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit treten vermehrt auf. Neben all diesen sowieso schon belastenden Symptomen führt der häufig lange Krankheitsweg – im Schnitt konsultieren die Patienten mehr als vier Ärzte, bevor die Diagnose gestellt wird – zu einer zusätzlichen Belastung.
Das Cushing-Syndrom ist glücklicherweise gut behandelbar. Wie können sich die verfügbaren Therapien positiv auf das Leben Betroffener auswirken?
Ein unbehandeltes Cushing-Syndrom verläuft sehr häufig tödlich, Patienten mit unbehandeltem Cushing-Syndrom versterben meist an kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfällen oder Herzinfarkten oder an Infektionen. Die Langzeitprognose der Patienten bessert sich durch eine effektive Therapie enorm. Deshalb ist eine rasche und effektive Behandlung essenziell. Es gibt verschiedene Unterformen des Cushing-Syndroms, aber alle werden in erster Linie operativ behandelt. Nach der Operation kommt es häufig zu einem schnellen Gewichtsverlust und zu einer raschen Besserung von metabolischen Komplikationen. Dies bedeutet, wenn die Patienten unter einem Bluthochdruck oder einem Diabetes leiden, dann bessern sich beide Krankheitsbilder häufig sehr schnell. Viele Patienten benötigen nach einer Therapie zum Beispiel deutlich weniger Blutdruckmedikamente.
Gibt es auch belastende Aspekte der Therapie?
Ja, denn bei der häufigsten Form des Cushing-Syndroms, dem sogenannten Morbus Cushing, wird eine Operation an der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) durchgeführt. Die Hypophyse produziert zahlreiche Hormone, die für das tägliche Leben wichtig sind. Durch die Operation kann es zu Schäden an der Hypophyse kommen. Falls eine Operation nicht möglich ist oder nicht erfolgreich war, kann das Cushing-Syndrom auch medikamentös behandelt werden. Die verschiedenen Medikamente führen zu einer Senkung des Cortisolspiegels, wodurch sich die körperlichen Begleiterscheinungen bessern. Natürlich haben diese Medikamente aber auch Nebenwirkungen. Diese unterscheiden sich von Präparat zu Präparat. Einige Nebenwirkungen vergehen nach einer Gewöhnungsphase, während andere persistieren können. Für einige Patienten, welche einen Morbus Cushing haben, kann auch eine Strahlentherapie infrage kommen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Effekt der Strahlentherapie oft erst ein bis zwei Jahre nach Behandlung eintritt. Diese Wartezeit kann belastend sein. In der Regel wird die Strahlentherapie daher nur in Kombination mit einer medikamentösen Therapie durchgeführt.
Wenn die Diagnose gestellt ist, kann schnell mit einer Behandlung begonnen werden, um Betroffene in Remission zu führen. Gibt es auch in dieser Remissionsphase belastende Aspekte?
Auch hier gibt es viele belastende Aspekte, die häufig aber wenig im Fokus stehen. Das eigentliche Problem der Therapie ist der sogenannte Glukokortikoidentzug: Das Cushing-Syndrom führt ja, wie gesagt, zu sehr hohen Cortisolwerten. Nach der Therapie leiden die Patienten unter dem Gegenteil, einem Cortisolmangel. Dies bezeichnet man als Nebenniereninsuffizienz. Dieser rasche Wechsel von erst sehr hohen Cortisolwerten zu sehr niedrigen Cortisolwerten kann mit einer Reihe von Problemen einhergehen: vermehrtem Schlafbedürfnis, Gelenk- und Muskelschmerzen und einer depressiven Stimmungslage. Häufig geht es den Patienten also in den ersten Monaten nach der Operation erst mal subjektiv schlechter, bevor sie sich langsam erholen. Dies ist insofern problematisch, als das Glukokortikoidentzugssyndrom nicht sehr bekannt ist und Patienten daher häufig nicht darauf vorbereitet werden. Viele Betroffene profitieren von Schulungsprogrammen zum Umgang mit der Nebenniereninsuffizienz, von einer engmaschigen Betreuung, gegebenenfalls auch von einer Rehabilitation und leichtem körperlichem Training.
Zudem gibt es bei einigen Formen des Cushing-Syndroms ein Rückfallrisiko. Alle Patienten mit Cushing-Syndrom sollten daher lebenslang in ein Nachsorgeprogramm aufgenommen werden und einmal jährlich untersucht werden. Hierbei werden dann regelmäßig die Cortisolwerte gemessen, um einen Rückfall, ein Rezidiv, frühzeitig zu diagnostizieren.