Über die Wege der Diagnosefindung sprachen wir mit dem Medizinprofessor Arndt Rolfs.
Prof. Dr. med. Arndt Rolfs
Direktor des Albrecht-Kossel-Instituts für Neuroregeneration der Universität Rostock
Professor Rolfs, Sie sind Experte für lysosomale Speicherkrankheiten wie Morbus Fabry und Morbus Gaucher. Können Sie uns kurz erklären, was lysosomale Speicherkrankheiten sind und wie sie sich äußern?
In fast allen Fällen handelt es sich um einen Enzymdefekt. Enzyme sind spezifische Strukturen, spezialisierte Eiweiße im Körper, die eine Müllabfuhrfunktion innerhalb des Körpers übernehmen und dafür Sorge tragen, dass Stoffwechselprodukte abgebaut werden können.
Der Abbau findet in einem speziellen Teil der Zelle statt, der als Lysosom bezeichnet wird. Deshalb heißt der Oberbegriff aller Erkrankungen, die einen Enzymdefekt innerhalb der Lysosomen aufweisen, lysosomale Erkrankungen.
Wie äußern sich diese beim Patienten, am Beispiel von Morbus Fabry?
Die Symptome der Patienten mit einem Morbus Fabry sind meist sehr verschiedenartig. Da kann man keine pauschale Antwort geben. Das macht die Diagnose oft so schwierig.
Ich erkläre das gern am Modell des Eisberges: Nur rund zehn Prozent der erkrankten Fabry-Patienten zeigen das voll ausgeprägte Erkrankungsbild mit einer Schädigung von Herz und Niere, Schmerzen in Händen und Füßen zusammen mit einem Schlaganfall im Alter bis 55 Jahre, unklaren Hautveränderungen – rötlich-bläuliche Punkte – sowie Einlagerung von bestimmten Substanzen im Auge.
Besteht dieses voll ausgeprägte Bild, kann man Morbus Fabry meist schnell diagnostizieren und auch therapieren.
Ärzte müssen weggehen von dem Grundverständnis, dass “seltene Erkrankungen” so selten sind, dass man es ignorieren kann.
Was ist mit den restlichen 90 Prozent?
Bei denen wird es schwierig, da hier nur einige der eben genannten Beschwerden auftreten. Das kann beispielsweise ein Schlaganfall sein oder ein vergrößertes Herz. Der Fabry ist im Übrigen die häufigste genetisch bedingte Ursache für einen Schlaganfall bis 55 Jahre.
Welche Wege der Diagnosefindung gibt es heutzutage, und wie weit ist die Forschung hier bereits vorangeschritten?
Das ist in der Zwischenzeit ein gut gelöstes Thema. Die Hauptaufgabe in diesem Kontext ist, immer daran zu denken, dass der Patient eine derartige Erkrankung haben könnte. Daran zu denken, ist damit bereits die Hälfte der erfolgreichen Diagnostik. Es gibt rund zehn bis 20 Labore in Deutschland, die eine sehr gute und verlässliche Diagnostik für Morbus Fabry anbieten.
Das ist typischerweise eine Kombination aus verschiedenen Methoden: Zunächst wird eine Messung der Enzymaktivität im Blut durchgeführt. Wenn dieser Wert pathologisch ist, wird im zweiten Schritt eine genetische Diagnostik durchgeführt, indem der Gendefekt durch die Analyse des spezifischen Abschnittes der Erbinformation des Patienten bestätigt wird. In der Kombination Enzymdefekt und Mutationsnachweis in der Erbinformation ist die Krankheit als nachgewiesen zu betrachten.
Wie können unentdeckte Fälle in Zukunft besser ausgeschlossen werden?
Hauptsächlich durch eine Verbesserung der Aufmerksamkeit in den verschiedenen Arztspezialitäten. Ärzte müssen weggehen von dem Grundverständnis, dass „seltene Erkrankungen“ so selten sind, dass man es ignorieren kann. Schon die Begrifflichkeit „seltene Erkrankung“ ist daher nicht glücklich.
Hier muss ein Umdenken stattfinden – bereits in der Ausbildung der Studenten und künftiger Ärzte. Wenn das gelingt, sind wir auf einem guten Weg, dass es dem Patienten nicht mehr zugemutet werden muss, zwölf bis 20 Jahre auf eine Diagnose zu warten.
In Österreich werden Neugeborene beim Screening schon auf seltene Erkrankungen untersucht. Wäre es nicht überlegenswert, diese Testverfahren auch in Deutschland einzuführen?
Ich erachte das als absolut zwingend. Obwohl das deutsche Gesundheitssystem zu den besten weltweit gehört, ist es in dieser Hinsicht doch zu konservativ. Natürlich kann man nicht jede Erkrankung im Neugeborenenscreening analysieren – auch wenn es technisch möglich ist.
Es gibt hier Kriterien, die im Wesentlichen darauf basieren, dass sie eine Mindesthäufigkeit erfüllen und eine Therapierbarkeit gegeben ist. Es ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit diagnostizierter lysosomaler Erkrankungen steigen wird, wohl bis zu 1:1500.
Wenn man beispielsweise die circa 30.000 Neugeborenen pro Jahr in Berlin rechnet, leiden rund 20 davon unter einer solchen Krankheit. Weiterhin haben wir eine steigende Zahl an gut therapierbaren lysosomalen Erkrankungen. Umso früher wir eine Krankheit diagnostizieren, desto besser ist die Gesamtprognose. Das Neugeborenenscreening für manche lysosomale Erkrankung ist in Deutschland also längst überfällig.