Die Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) ist eine der seltensten erblichen Erkrankungen. Laut aktueller Studienlage sind zwischen 0,88¹ und 1,36² Menschen pro 1 Mio. Einwohner betroffen, in Deutschland sind laut der Patientenvereinigung FOP e.V. derzeit 44 Patient*innen bekannt. Die limitierte Zahl der Patientinnen erschwert die Forschung enorm, da zur Durchführung der erforderlichen Studien eine ausreichend große Zahl an Patient*innen notwendig ist und die klinische Erprobung möglicher Therapien erhebliche Ressourcen erfordert. Ein Gespräch mit FOP-Experte Dr. med. Rolf Morhart.
Dr. Ralf Morhart
FOP-Experte
Dr. Morhart, wie viele Patient*innen mit FOP gibt es in Deutschland?
In Deutschland sind uns derzeit 44 Patient*innen mit FOP bekannt, weltweit sind es etwa 800, wobei wir mit einer hohen Dunkelziffer rechnen.
Wen trifft die Erkrankung und wie zeigt sie sich?
Schon bei Neugeborenen weisen verkürzte und zur Fußaußenseite abgeknickte große Zehen (sog. Hallux valgus) auf FOP hin.
Im Kleinkindalter zeigen sich dann häufig innerhalb von Stunden auftretende faustgroße, gerötete, überwärmte Beulen vorwiegend am Kopf, Nacken und Rücken. Dies sind Entzündungsherde, die in manchen Fällen aber als Verhärtungen bestehen bleiben. Dort bildet sich dann fälschlicherweise zusätzliche Knochensubstanz. Mit fortschreitendem Alter breiten sich diese Entzündungsherde auf den ganzen Körper aus, und zwar: Immer vom Kopf in Richtung der Füße, vom Zentrum in Richtung der Peripherie, von hinten nach vorne.
Was sind die Ursachen der Entzündungen?
Alltägliche Prellungen infolge eines Sturzes oder Stoßes und Schnitte oder Stiche, diese auch infolge medizinischer Behandlungen und Operationen, führen zu Verletzungen der Muskulatur. Diese reagiert mit einer Entzündung auf den Reiz. Anders als bei gesunden Menschen sorgt bei Patient*innen mit FOP ein Gendefekt dafür, dass bei der natürlichen Wundheilung im weichen Gewebe aus dem Nichts Knochen entstehen, die sich mit bereits vorhandenen Knochen verbinden können.
Warum ist eine möglichst frühe Diagnose so wichtig?
Da der Körper der Patient*innen mit FOP mit jeder Entzündung immer unbeweglicher wird und schubweise oder schleichend in unregelmäßiger, teils bizarrer Form versteift, wird der Zustand irgendwann lebensbedrohlich: In einem schon im Kleinkindalter verknöcherten Brustkorb kann kein Herz auswachsen, keine Lunge sich entfalten. Je eher die Diagnose erfolgt, desto eher können Patient*innen bekannte Auslöser von Entzündungen versuchen zu meiden und den Verlauf der Krankheit zumindest etwas bremsen. Dazu werden Schäden durch falsche therapeutische Maßnahmen bei Fehldiagnosen vermieden.
Wir wissen heute genau, wo der Gendefekt der FOP liegt. Ein Gentest aller Neugeborenen mit Hallux valgus könnte sehr früh zur sicheren Diagnose führen. Leider ist diese Erkrankung aber bei Medizinern wie bei Laien weitgehend unbekannt. Zu häufig noch werden die großen Beulen einem Krebs zugeschrieben und entsprechend fehldiagnostiziert und leider auch fehlbehandelt.
Wie behandeln Sie FOP derzeit?
Die Krankheit ist noch nicht heilbar. Wir behandeln vorwiegend mit Medikamenten, die Entzündungen hemmen, z.B. Cortison und Antirheumatika.
Sie sind Mitglied des FOP ICC (International Clinical Council): Wie steht es um die Forschung zur FOP?
Lange Zeit gab es die kaum. Für Forschungsgelder war die Erkrankung FOP einfach zu selten. Das änderte sich erst vor ca. 10 Jahren, als man in den USA feststellte, dass Soldat*innen im Irak- und Afghanistankrieg nach Minenverletzungen und multiplen Schussverletzungen mit Splittergeschossen ähnlich wie Patient*innen mit FOP plötzlich Verknöcherungen im weichen Körpergewebe bildeten. Die Kriegsveteranen protestierten teilweise im Rollstuhl vor dem Weißen Haus und bewirkten so, dass die Regierung Forschungsgelder bewilligte. Mittlerweile investieren auch einige Pharmafirmen in die FOP Forschung.
Die limitierte Zahl der Patient*innen mit FOP, die noch dazu verteilt über den ganzen Erdball sind, erschwert die Forschung allerdings sehr. Auch der frühe möglichst genaue Nachweis des anormalen Knochenwachstums, der aktuell nur mittels Computertomographie (CT) möglich ist, ist in klinischen Studien nicht unproblematisch, da die Röntgenstrahlung risikobehaftet ist.
Inzwischen werden aber verschiedene FOP-Medikamente in klinischen Studien getestet. Ich sehe deshalb optimistisch in die Zukunft und hoffe auf eine baldige Zulassung dieser und weiterer Medikamente für die FOP-Behandlung.
Die Entwicklung und Zulassung eines solchen Medikamentes ist medizinische Pionierarbeit, die stets die Betroffenen im Blick hat. Die Schwierigkeit liegt aber nach wie vor in der Bereitstellung und Bündelung der erforderlichen Ressourcen, um diese Arbeit schneller voranzutreiben und Patient*innen entsprechend versorgen zu können.
1 Pignolo et al. 2021; 2 Baujat et al. 2017
ALL-DE-000689 (September 2021)