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Die Ursache der meisten „Seltenen Erkrankungen“ liegt im Erbgut. Mit konventionellen Behandlungsmethoden lassen sich häufig nur die Symptome lindern. Einen innovativen Ansatz bietet eine neue Klasse von Arzneimitteln auf RNA-Basis. Das Prinzip der RNA-Interferenz ermöglicht es, die Aktivität einzelner Gene gezielt zu regulieren. Genetisch bedingte Erkrankungen können so ursächlich therapiert werden – ohne dabei das Erbgut zu verändern.

Im vergangenen Jahr hat eine neue Klasse von Impfstoffen auf Basis von Boten-Ribonukleinsäuren (messenger-RNA, mRNA) ihren Durchbruch erlebt und die weltweite Aufmerksamkeit auf das noch junge Gebiet der RNA-Medizin gelenkt. Durch das Einbringen von mRNA erhalten die Zellen den Bauplan für ein bestimmtes Virus-Protein, das sie dann selbstständig herstellen. Gegen diese Proteine erzeugt das Immunsystem anschließend eine Immunantwort. mRNA gibt es in nahezu allen Zellen in Hülle und Fülle. Ihre biologische Funktion ist es, die in den Genen gespeicherten Protein-„Baupläne“ an die Protein-„Fabriken“, die Ribosomen, zu übermitteln. Diese Transportfunktion macht die mRNA zu einem Ziel für neue therapeutische Ansätze – weit über Impfstoffe hinaus. 


Die Ursachen für die meisten der sogenannten „Seltenen Erkrankungen“ gehen zurück auf Mutationen im Erbgut. Dadurch können etwa die Baupläne für wichtige Proteine fehlerhaft sein. Diese „defekten“ Proteine können zu schweren Komplikationen im Stoffwechsel führen, zum Beispiel wenn sie toxisch wirken, wie bei der akuten hepatischen Porphyrie, wo es zu Krampfanfällen bis hin zu Atemlähmungen kommen kann. Andere Genmutationen verändern die Struktur von Proteinen, wodurch die Proteine „verklumpen“ und Ablagerungen (Amyloid) bilden, die wiederum die Funktionsfähigkeit der Organe beeinträchtigen können, zum Beispiel bei der ATTRv-Amyloidose. 

RNAi-Medizin: Eine neue Klasse von Arzneimitteln

Vor gut 20 Jahren entdeckten Forschende einen natürlichen biologischen Mechanismus, mit dem Zellen die Aktivität einzelner Gene steuern können. Dieser Mechanismus wird als RNA-Interferenz (RNAi) bezeichnet und existiert seit Jahrmillionen in nahezu allen Zellen von Pflanzen, Tieren und Menschen. Für ihre Entdeckung erhielten die US-Wissenschaftler Andrew Z. Fire und Craig C. Mello im Jahr 2006 den Medizin-Nobelpreis. Mit ihrer Forschung legten sie den Grundstein für eine völlig neue Klasse von Arzneimitteln, den RNAi-Therapeutika. 

Die Grundidee ist simpel. Die Aktivität eines für eine Erkrankung ursächlichen Gens wird einfach herunterreguliert. Dies geschieht, indem der Informationsträger – die mRNA – abgebaut wird, bevor er die Ribosomen erreicht. Mittels des zelleigenen Mechanismus der RNA-Interferenz lässt sich präzise genau jene mRNA deaktivieren, die den fDie Grundidee ist simpel. Die Aktivität eines für eine Erkrankung ursächlichen Gens lässt sich herunterregulieren, das Gen gewissermaßen „stilllegen“. Im Ergebnis wird das entsprechende Protein nicht mehr oder in einer deutlich geringeren Menge hergestellt. Dies funktioniert, indem der Informationsträger des Protein-Bauplans – die mRNA – auf dem Weg vom Zellkern zu den Ribosomen „abgefangen“ und abgebaut wird, bevor das entsprechende Protein gebildet wird. Mittels des zelleigenen Mechanismus der RNA-Interferenz lässt sich präzise genau jene mRNA erkennen und deaktivieren, die den fehlerhaften Bauplan überträgt. Um diesen Prozess zu aktivieren, wird eine kurze RNA-Sequenz in die Zellen eingebracht. Diese sogenannte siRNA (small interfering RNA) ist spiegelbildlich zur Ziel-mRNA und lenkt einen speziellen Proteinkomplex präzise zu jener mRNA, die abgebaut werden soll. Sobald die Ziel-mRNA gefunden ist, wird sie zerschnitten und abgebaut bevor sie das Ribosom erreicht und ein Protein hergestellt wird. Im Ergebnis wird die Produktion der krankheitsverursachenden Proteine erheblich reduziert. Ein Vorteil der RNA-Interferenz: Im Gegensatz zu einer Gentherapie wird nicht in das Erbgut eingegriffen. Setzt man die Behandlung aus, erreicht die mRNA wieder die Ribosomen und das betreffende Protein wird wieder hergestellt. 

Das Potenzial der RNAi zum Wohle von Patienten nutzbar machen – mit dieser Vision wurde 2002 das biopharmazeutische Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals gegründet. Seither hat Alnylam mehr als drei Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von RNAi-Therapeutika investiert. Seit 2018 wurden bereits drei RNAi-Therapeutika zur Das Potenzial der RNAi zum Wohle von Patienten nutzbar machen – mit dieser Vision wurde 2002 das biopharmazeutische Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals gegründet. Seither hat Alnylam mehr als sechs Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von RNAi-Therapeutika investiert. Seit 2018 wurden bereits drei RNAi-Therapeutika zur Behandlung seltener, genetisch bedingter Erkrankungen in Europa zugelassen. Zahlreiche weitere sind in der Entwicklung und Erprobung. Perspektivisch lassen sich mit RNAi-Therapeutika nicht nur genetische Erkrankungen behandeln, sondern potenziell auch Herz- und Stoffwechselkrankheiten, Infektionskrankheiten und Erkrankungen des zentralen Nervensystems, zum Beispiel auch die Alzheimer-Demenz. Erste klinische Studien hierzu sollen noch in diesem Jahr starten. Dies ist ein gutes Beispiel, wie von der Forschung an Therapien für seltene Erkrankungen mittelfristig auch viele weitere Patienten profitieren können.

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