Ein Gespräch mit Dr. Georg Goldmann über patientenorientierte Therapien bei Hämophilie und die wegweisenden Möglichkeiten der Telemedizin.
Dr. Georg Goldmann
Facharzt für Transfusionsmedizin und Hämostaseologie und Oberarzt am Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin (IHT) am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Wie macht sich eine Hämophilie-Erkrankung bei Betroffenen bemerkbar und wie wird die Diagnose gestellt?
Die Hämophilie ist eine angeborene Störung der Blutgerinnung. Betroffene haben ein erhöhtes Risiko für Blutungen aller Art, da die körpereigene Gerinnung unzureichend oder gar nicht funktioniert. Die ersten Symptome, die auftreten, sind Hämatome, also blaue Flecken. Nicht so häufig, aber umso beeinträchtigender sind Einblutungen in Gelenken. Sehr selten treten innere Blutungen auf.
Meist treten die ersten Symptome im Krabbelalter auf, wenn die Kinder mobiler werden und sich häufiger auch mal stoßen. Dann treten diese blauen Flecken auf, die auch etwas dicker werden können und nicht so schnell wieder verschwinden. Im schlimmsten Fall treten im Laufalter Einblutungen in den Gelenken auf, im Regelfall findet die Diagnose aber früher statt.
Oft ist es so, dass Eltern, die ein Kind mit Hämophilie bekommen, zunächst fälschlicherweise der Kindesmisshandlung bezichtigt werden, da die schweren blauen Flecken nicht auf eine andere Ursache zurückgeführt werden können. Erst dann, wenn durch den Kinderarzt eine weitere Abklärung über eine Gerinnungsuntersuchung erfolgt, kann die Diagnose Hämophilie erfolgen. Das Problem hierbei ist, dass wir zum einen Familien haben, in denen die Hämophilie schon über viele Generationen vererbt wurde. Zum anderen haben wir einen relativ hohen Anteil von Fällen, in denen eine sogenannte spontane Mutation auftritt, das heißt, dass es sich um den ersten Hämophilie-Fall in der Familie handelt. Dieser Anteil liegt zwischen 20 und 30 Prozent und ist damit beträchtlich.
Mit welchen Herausforderungen und Einschränkungen sehen sich Patienten im Alltag konfrontiert?
Jeder Mensch muss seinen normalen Alltag bewältigen, das gilt natürlich genauso für Hämophilie-Patienten. Letztere müssen aber in alle Entscheidungen den Faktor der Erkrankung und der Therapie miteinbeziehen. Alles muss vorab unter der Frage durchdacht werden, ob der Faktorspiegel des Patienten ausreicht für das, was er vorhat. Das heißt zum Beispiel, dass der Patient das Medikament immer dabeihaben muss, für den Fall, dass spontan eine Blutung auftritt, und das zusätzlich zur regulären Therapie. Das gilt besonders für Urlaube oder andere Reisetätigkeiten. Zudem muss auch bei allen Aktivitäten immer abgewogen werden, wie hoch die Gefahr für Blutungen ist. Man muss der Erkrankung alles unterordnen: Beruf, Schule, Sport und Freizeitgestaltung. Im Fall von betroffenen Kindern fällt diese Aufgabe natürlich den Eltern zu.
Wie sehen die aktuellen Therapieoptionen aus und welche Vorteile haben sie für Betroffene? Werden Patienten bei der Auswahl der Therapie einbezogen?
Wir haben mittlerweile eine sehr breite Palette an Therapieoptionen zur Verfügung, auf die wir nach dem Bedürfnis des Patienten zugreifen können.
Wir haben hier zum einen die klassischen Faktorpräparate, die seit mehr als 50 Jahren zur Verfügung stehen und ständig weiterentwickelt wurden. So haben neuere Faktorpräparate eine wesentlich längere Halbwertszeit. Relativ neu sind sogenannte Replacement-Therapien: Das sind Ersatztherapien, die nicht mehr mit einem Faktor arbeiten, sondern den Faktor durch einen anderen Stoff ersetzen.
Bei Patienten mit einer schweren Hämophilie besteht Einigkeit, dass diese Betroffenen eine Prophylaxe erhalten sollten. Das heißt, dass der Faktor regelmäßig gegeben wird, um einen gewissen Faktorspiegel im Blut aufrechtzuerhalten. Bei den Replacement-Therapien und den neuen Faktorpräparaten ist der Vorteil, dass die Injektionen durch die längere Halbwertszeit nicht so häufig erfolgen müssen.
Wichtig ist, dass jeder Patient individuell da abgeholt wird, wo er steht. Der Patient muss ein gleichberechtigter Partner in der Behandlung sein. Am UKB haben wir mehrere Pilotprojekte, in denen wir Patienten aktiv über Apps in die Therapie einbinden. Der Patient kann über die App genau sehen, wie hoch sein Faktorspiegel im Blut ist, und kann somit entscheiden, ob sein Wert ausreicht für die nächste Tätigkeit, die er geplant hat. Man gibt somit einen gewissen Teil der Verantwortung und Mündigkeit zurück an den Patienten, ist aber trotzdem als Arzt mit dem Patienten vernetzt.
Das Thema Gentherapie ist derzeit in aller Munde. Besteht Ihrer Meinung nach Hoffnung für Hämophilie-Patienten, dass die Krankheit durch die Fortschritte in der genetischen Forschung irgendwann heilbar sein wird?
Ich denke, dass das, was wir in letzter Zeit an Fortschritten gesehen haben, enorm ist. Wir sind sicher auf einem guten Weg, es muss aber noch einiges passieren. So sind beispielsweise noch die Fragen von eventuellen Nebenwirkungen zu klären. Es wird also sicher noch eine Weile dauern, bis solche Therapien tatsächlich auf den Weg gebracht und Patienten zugänglich gemacht werden können.